Goodbye Grexit, hello Brexit

Der „Grexit“ ist out, ganz Brüssel redet vom „Brexit“. Zwar steht ein Austritt Großbritanniens aus der EU nicht auf der Tagesordnung. Doch seit Premier Cameron den Fiskalpakt ablehnte, weil er Nachteile für die City fürchtete, hat sich das Verhältnis empfindlich abgekühlt. Der Streit um das künftige EU-Budget für die Jahre 2014 bis 2020 könnte zum endgültigen Bruch führen, fürchtet Brüssel. Doch was wäre, wenn UK tatsächlich „bye“ sagen würde?

Keep cool. Seit einem halben Jahr sprechen wir über den „Grexit“, den Austritt Griechenlands aus der Eurozone, und nichts ist passiert. Spätestens, als die Eurozone begann, über den Ernstfall nachzudenken, bekam sie kalte Füsse (siehe „Grexit=Notstand“). Ähnlich könnte es mit dem „Brexit“ sein, dem neuen Medien-Hype aus Brüssel. Zwar heizt neuerdings sogar Kanzlerin Merkel die Stimmung an – mit der Drohung, wegen der Briten einen EU-Sondergipfel abzublasen (siehe „Schmeicheln und drohen“). Die „FTD“ sekundiert und behauptet keck, die EU müsse keine Angst vor dem Exit der Briten haben.

Doch bei näherer Betrachtung ergibt sich ein etwas anderes Bild.

Erstmal sind die Briten nicht ganz so unwichtig, wie es in der Eurokrise scheint. Dies gilt vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik, wo sie mit Frankreich weiter eine Hauptrolle spielen – man denke nur an den Irakkrieg. Auch bei der EU-Erweiterung und der Einbindung der neuen osteuropäischen Mitgliedsländer spielten sie bisher eine wichtige Rolle. Zudem haben die Briten traditionell großen Einfluß bei der wirtschaftsliberalen Ausrichtung der EU; so sorgten sie dafür, den im Juni verabschiedeten Wachstumspakt vor allem auf Liberalisieurng und Flexibilisierung auszurichten.

Allerdings vertrat Italiens Premier Monti in dieser Frage ähnliche Auffassung wie der Briten Cameron. Am meisten fehlen werden die Briten daher paradoxerweise den Franzosen, denn die deutsch-britische Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik läuft gut. Das jüngste Projekt, eine Fusion des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS und des britischen Konzerns BAE, wurde jedoch von Deutschland torpediert (siehe „Die zweite Front“).

Ein „Brexit“ dürfte die ohnehin angespannten deutsch-französischen Beziehungen weiter belasten. Bisher zwang die britische Verweigerungshaltung Paris und Berlin, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Zudem konnte Frankreich auf die Zusammenarbeit mit Großbritannien in der Verteidigungspolitik setzen. Wenn dies entfällt, verliert zunächst Paris, während Berlin sich weiter an Warschau annähern dürfte.

Allerdings ist unklar, wie sich die Südländer verhalten würden, die derzeit eng mit Paris zusammenarbeiten. Auch die bisherigen Partner Großbritanniens, Schweden und Dänemark, müssten sich neu orientieren. Vermutlich würden sie sich Deutschland zuwenden, so dass die EU endgültig in einen südlichen und einen nördlichen Block zerfallen würde.

Klar ist dagegen, dass die City of London zu den großen Verlierern eines „Brexit“ zählen würde. Der mit New York und Tokio weltgrößte Finanzplatz braucht den Heimatmarkt EU, um seine Geschäfte zu machen. Vor allem aber braucht er Rechtssicherheit, die er nur mit Brüssel bekommen kann. Wenn UK aus der EU aussteigt, wird es wie Norwegen oder die Schweiz abhängig von den Regeln, die die Europäer in Brüssel machen – dann allerdings ohne die Briten.

Bisher haben die Golden Boys von den strikten Regeln an der Wall Street und von der Eurokrise profitiert – London entwickelte sich seit der Finanzkrise 2008 zum „save haven“, zum sicheren Hafen für das flüchtige Kapital aus den USA und der EU. Wenn sie einmal draußen sind, könnten sowohl Amerikaner als auch Europäer ihr Geld aus London abziehen. Schlimmer noch: die Eurozone könnte sich mit einer echten Fiskal- und Bankenunion zu einem ernsthaften Konkurrenten der City entwickeln, mit Frankfurt als Zentrum.

Noch ist es allerdings nicht so weit – denn ausgerechnet die Bundesregierung in Berlin steht bei der Bankenunion auf der Bremse… (siehe „Deutsches Rollback“)

Zum „Grexit“ läuft auch noch meine aktuelle Umfrage, und zwar hier.

P.S. folgt man dem bekannten britischen Leitartikler Evans-Pritchard, dann ist UK schon so gut wie draußen, seine Analyse steht hier.