Gipfel der Heuchler (Update 23.6.11)

Was gehen mich die miesen Ratings der anderen an?

Beim EU-Gipfel in Brüssel soll es keine neuen Beschlüsse zu Griechenland geben. Obwohl das Land am Rande des Abgrunds steht und Bürger wie Märkte klare Signale der Unterstützung erwarten, taucht die Krise nur beim Abendessen unter dem bizarren Stichwort „jüngste Ereignisse der Eurozone“ auf. Auch der Streit über die von Deutschland geforderte Beteiligung privater Gläubiger wird unter den Tisch gekehrt.

Bundeskanzlerin Merkel habe immer nur eine freiwillige Beteiligung von Banken und Versicherungen gefordert, hieß es vor dem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs aus Berlin. Derzeit liefen Gespräche mit den Banken auf nationaler Ebene. Ergebnisse seien erst beim nächsten Treffen der Eurogruppe Anfang Juli zu erwarten. Beim Gipfel in Brüssel bestehe deshalb kein Gesprächsbedarf.

Die meisten EU-Staaten dürften dies völlig anders sehen. Schließlich hatte der Bundestag und dann auch die Bundesregierung mit der Forderung, private Gläubiger verpflichtend und substanziell zu beteiligen, international für Furore gesorgt. Die Märkte spielten verrückt, Griechenland bekam das schlechteste Rating der Welt, und EZB und IWF warnten Merkel und ihren Finanzminister Schäuble vor einem Spiel mit dem Feuer.

Nun tut Merkel so, als sei nichts gewesen. Man solle die Ratingagenturen nicht so ernst nehmen – „niemand zwingt uns, deren Einschätzung zu glauben.“ Zugleich dämpft sie die Erwartungen an eine private Bankenhilfe. Es sei nicht so einfach, dafür eine Mehrheit hinzubekommen. In Wahrheit hat sich die Kanzlerin mit ihrem Vorstoß bis auf die Knochen blamiert. Sie muss sogar fürchten, die Schuld zugeschoben zu bekommen, falls Griechenland pleite geht. 

In Hellas wächst die Wut auf die Kanzlerin täglich. Aber auch in Frankreich, Belgien und Luxemburg ist Merkel mit ihrem Zickzackkurs angeeckt. Mein Kollege J. Quatremer von der französischen Tageszeitung “Libération” qualifiziert die Kanzlerin sogar als “kranken Mann der Eurozone” – und zitiert genüsslich aus französischen Regierungskreisen, die eine massive Verärgerung über die deutsche Haltung in der Griechenland-Rettung belegen.

Also besser nicht drüber reden – und keine neuen Beschlüsse fassen. Merkel lädt die Verantwortung lieber an den griechischen Premier Papandreou ab. Der hat zwar gerade ein riskantes Vertrauensvotum überstanden, soll nun aber auch noch den von Brüssel diktierten Spar- und Privatisierungsplan durchs Parlament in Athen bringen. Wenn das schiefgeht, ist Griechenland pleite – doch Merkel will damit nichts zu tun haben.

Einen Plan B (wie Bankrott) gebe es nicht, heißt es in ihrem Umfeld. Schließlich arbeite man gemeinsam mit Athen hart daran, den Ernstfall zu verhindern…

Als Gipfel der Heuchler könnte sich auch das traditionelle Vorbereitungstreffen der konservativen Staats- und Regierungschefs in Brüssel erweisen. Dort wird nämlich auch der konservative griechische Oppositionsführer Samaras erwartet. Samaras weigert sich beharrlich, die Sparpläne der sozialistischen Regierung (also die Brüsseler Spardiktate) mitzutragen, und wird deshalb schon mal als “Profiteur des Untergangs” tituliert. EU und IWF fordern aber, dass die Opposition klein bei gibt, bevor frisches Geld fließt.

Man darf gespannt sein, ob Merkel mit ihrem Parteifreund Samaras Tacheles redet – oder wieder mal so tut, als gehe sie das alles nichts an.

 

Nachtrag 23.6.11

Merkel hat also doch mit Samaras geredet – doch der will sich partout nicht vom Nutzen des neuen Sparplans überzeugen lassen. Die EU will ihm deshalb die Schuld für ein mögliches Scheitern in die Schuhe schieben. Fast wird einem der Mann schon sympathisch… da leistet doch tatsächlich einmal jemand Widerstand! 

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