Gibt es noch einen geheimen Flüchtlingsdeal?
Vor einem Jahr wurde der berühmt-berüchtigte Flüchtlingspakt mit der Türkei geschlossen. Die EU feiert ihn als Erfolg – dabei ist er nicht auf ihrem Mist gewachsen – und er enthält offenbar einen dicken Haken.
Denn offenbar gibt es noch eine bisher geheim gehaltene Vereinbarung. Diesen Neben-Deal sollen Kanzlerin Merkel und der heute so heftig angefeindete niederländische Premier Rutte ausgeheckt haben.
Wie die „Welt“ unter Bezug auf eine neue Buchveröffentlichung berichtet, sollen sie zugesichert haben, jährlich 150.000 bis 250.000 syrische Flüchtlinge direkt aus der Türkei nach Europa zu holen.
Die Menschen sollten dann in Merkels „Koalition der Willigen“ verteilt werden. Allerdings kam es dazu (bisher) nicht. Was soll man also von dieser Geschichte halten? Eine schwierige Frage.[sociallocker]
Die EU kann man nicht fragen – denn sie hat nicht einmal den bekannten Hauptteil ausgehandelt. Merkels Deal sei kein rechtskräftiges EU-Abkommen, sondern nur eine bessere Pressemitteilung, heißt es im Europaparlament.
Merkel und Rutte schweigen. Allerdings gab es schon gleich nach dem Deal Gerüchte, dass neben dem „Outsourcing“ an die Türkei auch eine Kontingentlösung geplant war. Doch die „Willigen“ machten nicht mit.
Somit wäre ein wichtiger, wenn auch geheimer Part des Deals gescheitert. Auch der Hauptteil läuft nicht wie geplant – denn Griechenland weigert sich, wie gefordert massenhaft Flüchtlinge in die Türkei abzuschieben.
Recht „gut“ funktioniert eigentlich nur die Abschottung. Doch genau die stellt Sultan Erdogan nun in Frage. Er erwägt, Flüchtlinge auf dem Landweg nach Griechenland und Bulgarien zu schicken…
…vielleicht sogar so, dass sie pünktlich zur Bundestagswahl in Deutschland ankommen? [/sociallocker]
Thousands of #people are still suffering today in #Greece & #Balkans. Portraying the #EUTurkedeal as a success story is an alternative fact. pic.twitter.com/1XBVUAzzrO
— MSF Sea (@MSF_Sea) March 14, 2017
S.B.
15. März 2017 @ 15:57
Den Flüchtlingsdeal hat es – wenn überhaupt – nur informell gegeben. Ich behaupte mal, er war nichts als Lügen-Propaganda mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst dieses Jahres.
Jeder kann sich die Zahlen über Asylanträge auf der BAMF-Website anschauen. Die Leute laufen nach wie vor in Scharen nach Deutschland. Allein im Januar sind es fast 17.ooo Asylanträge gewesen. Hochgerechnet aufs Jahr macht das gut 200.000 Anträge. So gesehen wird zumindest der Neben-Deal von Murksel und Ratte gnadenlos umgesetzt.
mister-ede
15. März 2017 @ 13:04
1.) Die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen aus der Türkei, abseits des 1:1-Mechanismus, wurde in Punkt 4 des EU-Türkei-Statements ganz offiziell und für jeden nachlesbar zugesagt.
2.) Die EU ist für die Umsetzung des EU-Türkei-Statements verantwortlich. Ansonsten würde die EU-Kommission auch nicht vierteljährlich über den Stand der Umsetzung berichten.
3.) Im Herbst 2016 habe ich mehrfach das Fehlen dieser Kontingente kritisiert. Es wäre natürlich schön, wenn nun noch stärker in das Bewusstsein der Menschen rückt, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihrer humanitären Verantwortung weiterhin nicht gerecht werden.
ebo
15. März 2017 @ 13:56
Widerspruch. In Punkt 4 ist nur von einem „freiwilligen Beitrag“ die Rede, eine Zahl wird nicht genannt. Merkel hat diese Zahl auch nicht offen gelegt- ich war dabei.
mister-ede
15. März 2017 @ 17:30
Das stimmt. Die genaue Zahl steht dort nicht, aber das habe ich ja auch nicht behauptet. Dass Schutzsuchende aus der Türkei aufgenommen werden sollen, steht dort hingegen sehr wohl.
Und ich finde 150.000 – 250.000 eine durchaus angemessene Größenordnung, wenn sich die EU nicht aus ihrer humanitären Verantwortung stehlen will.