Geschichte einer Kapitulation
Das neue EU-Investitionsprogramm setzt vor allem auf private Großanleger – Banken, Versicherungen, Pensionsfonds. Damit vertraut Kommissionschef Juncker die Rettung EUropas ausgerechnet jenen an, die noch vor kurzem gegen den Euro gewettet haben. Es ist nicht die einzige Kapitulation.
Wie sich die Zeiten ändern. Noch 2011/2012 zogen Großanleger massiv Kapital aus Euroland ab, der Kollaps drohte. Nun sollen die Spätfolgen der Eurokrise mit denselben Großinvestoren behoben werden.
Warum macht Juncker das? Warum setzt er auf einen Hebel mit dem Faktor 15, der ein entsprechend hohes Risiko für die Investitionen bedeutet? Ganz einfach, die EU-Staaten wollten ihm kein Geld geben.
Angesichts des Neins aus Berlin und London habe er sich entschieden, allein voranzugehen, sagte Juncker in einem Interview. Besser wäre es gewesen, die Staaten an ihre eigenen Versprechen zu erinnern.
Schließlich haben sie Juncker 300-Mrd.-Euro-Versprechen mitgetragen, dann sollen sie auch zahlen. Stattdessen hat Juncker vor den Großen kapituliert. Sein Plan ist ein Beweis der Ohnmacht.
Und das ist nur die „Krönung“ einer langen, sehr langen Geschichte. Die Kapitulation begann schon 1992, mit dem Maastricht-Vertrag. Damals wurde den EU-Staaten verboten, sich bei der Zentralbank zu finanzieren.
Seither müssen sie bei den privaten Banken betteln, die das Geld fast zum Nulltarif von der EZB bekommen und teils horrende Zinsen verlangen. Die Folge: ein ebenso horrender Schuldenberg.
Die Schulden Belgiens (derzeit rund 100 Prozent des BIP) könnten nur halb so hoch sein, wenn sich Brüssel nicht über den Kapitalmarkt finanzieren müsste, kritisiert der Ökonom O. Bonfond im belgischen „Soir“.
Dasselbe gilt für die „Schuldensünder“ Frankreich, Italien, Griechenland & Co. Doch die EU hat vor den Märkten kapituliert. Wenn mich nicht alle täuscht, war das eine deutsche Idee.
Die Geschichte wäre aber nicht vollständig ohne die Kapitulation vor den Großkonzernen. Mit „tax rulings“ à la Luxemburg haben die EU-Staaten freiwillig auf Milliarden-Einnahmen verzichtet.
Der luxemburgische Ex-Premier Juncker hat es aber nicht eilig, daran etwas zu ändern. Das Europaparlament auch nicht, es gab ihm letzten Donnerstag einen Freibrief. Noch eine Kapitulation…
Johannes
1. Dezember 2014 @ 12:23
Bei dem Satz musste ich laut lachen: „Besser wäre es gewesen, die Staaten an ihre eigenen Versprechen zu erinnern.“ Genau, keine Schulden von anderen Staaten zu übernehmen *hahaha.
Egal was ihr macht, ihr reitet euch noch tiefer in die Sch…. rein in Brüssel, den Mut muss man erstmal haben. Diese Leistung sollten wir anerkennen *ggggggg
Peter Nemschak
1. Dezember 2014 @ 13:31
Es gibt zwei Möglichkeiten: die von Zucman erwähnte oder eine Renationalisierung der Realwirtschaften. Die erste Alternative ist ungleich kostengünstiger als die zweite. Es wäre Sache des EU-Parlaments, in dieser Angelegenheit Dampf zu machen, sprich das Thema auf die Agenda zu bringen.
Peter Nemschak
1. Dezember 2014 @ 11:16
Solange die Finanzmärkte global und die Staaten national aufgestellt sind, werden sie sich mit den Märkten schwer tun. Eine reformierte Konzernbesteuerung, an der nicht nur die EU sondern auch die USA Interesse haben sollten, wäre im TTIP umsetzbar: Schaffung gleicher steuerlicher Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer und Stärkung der staatlichen Haushalte.
ebo
1. Dezember 2014 @ 11:19
Stimmt, so sagte es nämlich G. Zucman in meinem Interview. Leider steht die aber nicht auf der EU-Agenda…
winston
30. November 2014 @ 23:38
Ob Strauss-Kahn deswegen kalt gestellt wurde.
The Global Jobs Crisis— Sustaining the Recovery through Employment and Equitable Growth
https://www.imf.org/external/np/speeches/2011/041311.htm
winston
30. November 2014 @ 22:49
@ Ebo
Wenn Du die Pfundattacke von 1992 meinst, war das ein Segen für GB, denn sie trug dazu bei das GB heute nicht im Euro ist.
Die Italiener traten im Gegensatz zu den Briten 1996 im EWR wieder ein, was ein kolossaler Fehler war.
winston
30. November 2014 @ 22:27
Ja Tim
Unfassbar dass das ausgerechnet aus dem Munde eines Schweizers kommt.
Die SNB ist die Zentralbank mit der grössten Bilanz, grösser als FED, BoE und BoJ.
Wie sie sehen geht’s der Schweiz sehr schlecht, oder nicht ?
Will nicht wissen wo die Schweiz heute stünde wenn die SNB 2008 und 2012 nicht interveniert hätte.
Nur zur Erinnerung 2008 stand die UBS vor dem Kollaps und wurde Gott sei dank von der SNB gerettet.
30% der KMU’s und 30 der Schweizer Pensionsfondsgelder lagerten damals bei der UBS.
Zentralbank und Währung sind die einzigen Schutzmechanismen die ein Staat hat, neben dem Militärapparat.
Alle Länder der Welt machen davon gebrauch bei externen oder internen Schocks, das ist völlig normal.
Grosse Ausnahme ist die EZ.
Auch Deutschland intervenierte 2009 mit über 400 mrd.
Tim
1. Dezember 2014 @ 10:03
@ winston
Wenn die Linke es mit ihrem Gewissen vereinbaren kann, Schutzpatron der Großbanken zu sein und sie auf Kosten der Bürger zu retten, meinetwegen.
Ich kann es nicht.
ebo
1. Dezember 2014 @ 10:13
@Tim
Wäre nett, wenn Du auch mal auf den zugrunde liegenden Blogpost eingehen würdest. Da geht es nämlich just darum, dass das aktuell gültige EU-Maastricht-Modell mit seinem Verbot der EZB-Staatsfinanzierung die Großbanken begünstigt. Zudem hat es zur Explosion der Staatsschulden beigetragen. Gleichzeitig hat die EZB Länder wie Irland gezwungen, die Schulden ihrer Pleite-Banken zu übernehmen. So sieht es aus…
Tim
1. Dezember 2014 @ 10:31
@ ebo
Nein, nicht das Verbot der EZB-Staatsfinanzierung begünstigt Großbanken, sondern a) der enorme Geldhunger der Staaten und b) die Struktur des Bankwesens, in dem es nun mal nur noch wenige (und dann große) Institute gibt.
Ziel müßte doch ein bankwirtschaftlicher Mittelstand sein, in dem es eben keine Erpresserinstitute mehr gibt. Aber dafür gibt es viel zu viel Regulierung im Finanzwesen. Kleinere Banken sind durch Compliance viel stärker belastet als große, darum gibt es eine immer stärkere implizite Bevorzugung der Riesen.
Übrigens war z.B. die deutsche Politik in den 90ern fast einhellig der Meinung, daß man eine nationale Champion-Bank fördern mußte, um international mitspielen zu können. Man muß leider feststellen, daß dieses Vorhaben gelungen ist. Aber eben auf Kosten einer gesunden, nachhaltigen Branchenstruktur.
Ein Europäer
30. November 2014 @ 20:27
Screwing down living standards, GDP and the miserabalist Agenda 2010 of Lohn-dumping are all negative to the (german) public welfare. Too many subsidies to corporates and exports has made the average German poorer and has made the average European much poorer.
Supply side maniacs have had their experiment and it’s failure can be easily measured in 22 million unemployed europeans, stagnant growth and debt deflation.
Germany war on Keynes is over – Keynes won !!
winston
30. November 2014 @ 22:32
@ Europäer
I hope, but.. .
Nach dem Regierungswechsel im Oktober 1998 wurde er zum Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen berufen (Kabinett Schröder I). Er beriet den damaligen Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine bei dessen Vorhaben, gemeinsam mit dem französischen Finanzminister Dominique Strauss-Kahn eine keynesianische Finanz- und Währungspolitik auf europäischer Ebene zu etablieren sowie das Weltwährungssystem zu reformieren. Nach dem Ausscheiden Oskar Lafontaines im März 1999 als Bundesfinanzminister endete im April 1999 Flassbecks Tätigkeit als Staatssekretär ebenfalls.
Wie DSK, Flassbeck und Lafontaine endeten ist bekannt.
Peter Nemschak
30. November 2014 @ 18:45
Warum haben sie gegen diese Währungen spekuliert? Weil sie das Vertrauen in die Nachhaltigkeit der Währungspolitik verloren haben.
Tim
30. November 2014 @ 17:50
Die Zentralbanken sollen also soviel Geld bereitstellen, wie die jeweilige Regierung braucht. Es ist nicht zu fassen, daß über solche Ideen auch nur diskutiert wird.
Linke glauben immer, daß man optimale Verhältnisse einfach mal eben so anordnen kann. Immer wieder erschütternd.
ebo
30. November 2014 @ 18:05
Unsinn. M. Bonfond schlägt vor, dass die EZB einen Mindestzinssatz festlegt, zu dem sich die Staaten Geld leihen können. Außerdem sieht er dafür mehrere Bedingungen vor, z.B. Neuverschuldung, Schuldenstand, Umsetzung von EU-Gesetzen zum Arbeitsschutz, dem Kampf gegen Korruption etc.
Neoliberale Deines Schlages finden es natürlich normal, dass die Banken abkassieren – auf Kosten der Steuerzahler. Du verlierst ja auch kein Wort zur Steuervermeidung. Juncker müsste Dein bester Freund sein…
Tim
1. Dezember 2014 @ 09:54
@ ebo
Schön, daß immerhin noch einer in Europa glaubt, fest vereinbarte Bedingungen würden später auch wirklich eingehalten: Du. 🙂
Wenn Staaten freiwillig hohe Zinsen akzeptieren, um an Geld zu kommen, ist das doch völlig in Ordnung. Wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, sind solche Risikoprämien durchaus realistisch. Ich bin beleibe kein Freund der (Groß-)Banken, aber solange es keine Bailouts gibt, dürfen sie gern Geld verdienen.
Thema Steuervermeidung: Steuervermeidung ist ein Tool, das sich nur größere Unternehmen leisten können. Wie ich schon oft sagte, bevorzugen Staaten mit ihrer gesamten Steuer- und (allgemein) Regulierungskomplexität größere Unternehmen – zulasten mittlerer und kleiner. Es wäre sehr wünschenswert, hier Waffengleichheit zu schaffen.
Es ist übrigens extrem störend, daß Du bei solchen Themen immer gleich in den anti-neoliberalen Kampfmodus schaltest, selbst wenn es durchaus gemeinsame Ziele gibt.
Etwas weniger Reflex und etwas mehr Reflexion wäre angenehm.
Peter Nemschak
30. November 2014 @ 18:09
Danke für die Klarstellung: The Wealth of Nations aus dem Bankomat! Die Linken und die extreme Rechte leugnen die Sinnhaftigkeit von Kapitalmärkten und einer freien Marktwirtschaft überhaupt. Stattdessen empfehlen sie Kommandowirtschaften wie in der ersten Hälfte des 20.Jhdts. Kurz ist das historische Gedächtnis. Es genügt eine Generation, damit alles vergessen ist.
ebo
30. November 2014 @ 18:19
Wie gesagt, der Vorschlag stammt nicht von mir, von dem von dem belgischen Ökonomen O. Bonfond. Was das mit einem „Bankomat“ oder mit „Kommandowirtschaft“ zu tun hat, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich ist für Sie die Federal Reserve auch schon Staatskapitalismus…
Im übrigen: Haben Sie schon vergessen, wie die „freien Kapitalmärkte“ gegen den Euro und die EU spekuliert haben? Oder gegen das Pfund?
Peter Nemschak
30. November 2014 @ 17:36
@ebo Sie unterstellen offenbar 0-Zinsen bei der Refinanzierung durch die Zentralbank. Wo bleibt dabei der Disziplinierungseffekt? Wer stellt sicher, dass die Staatsschulden nicht zu einer Missallokation von Ressourcen führen, sprich verschwendet werden?
ebo
30. November 2014 @ 17:43
Bitte lesen Sie doch etwas genauer. Ich bzw. der beglische Ökonom O. Bonfond, auf den ich mich beziehe, unterstellt einen EZB-Zinssatz in Höhe der Inflation. Bei einem Nullzins wäre die Ersparnis für Belgien 306 Mrd. Euro, bei 1 % immer noch 248 Mrd. Was haben die Banken mit diesen riesigen Summen gemacht?
Peter Nemschak
30. November 2014 @ 16:48
Wer garantiert, dass die Schulden Belgiens nicht noch weit höher wären, könnte sich der belgische Staat bei der Zentralbank refinanzieren. Das Verbot der Staatsfinanzierung hat sich in Deutschland und anderen Ländern seit Jahrzehnten bewährt. Warum sollte man es ändern? Mit zusätzlichen Schulden wird man die derzeitige Schuldenkrise nicht überwinden, wohl eher mit Schuldenerlässen. Griechenland wäre ein klassischer Kandidat dafür. Die finanzielle Repression durch negative Realzinsen funktioniert, aber zu langsam und mit unerwünschten Nebenwirkungen (Assetblase). (Teil)finanziert könnte ein Schuldenerlass durch eine tiefgreifende Konzernsteuerreform werden.
ebo
30. November 2014 @ 16:54
@ P.N.
Das Verbot der Staatsfinanzierung hat sich in der EU überhaupt nicht bewährt. Schauen Sie sich doch einmal die Schuldenstände an! Selbst Deutschland liegt über den vorgeschriebenen 60 Prozent.
Peter Nemschak
30. November 2014 @ 16:57
Wie hoch wären die Schuldenstände, wenn die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank erlaubt wäre? Sicher nicht kleiner.
ebo
30. November 2014 @ 17:22
Wie kommen Sie denn darauf? Belgien hätte seit 1992 186 Mrd. Euro an Zinsen gespart, wenn der Zinssatz der Inflation entsprochen hätte! Der Schuldenstand wäre dann heute bei 50 Prozent des BIP (statt aktuell rund 100 Prozent). Sicher ist allerdings, dass die 186 Mrd. den Banken gefehlt hätten – das würde Sie natürlich schmerzen…