Warum Cameron verliert
Bisher lag das „Remain“-Lager in Großbritannien vorn. Doch knapp drei Wochen vor dem EU-Referendum dreht der Wind, wie der „Guardian“ meldet: Plötzlich verspüren die Brexit-Anhänger Aufwind.
[dropcap]D[/dropcap]ie EU-Gegner liegen mit 52 zu 48 Prozent vorn – nach einer sicher geglaubten 10-Punkte-Führung des „Remain“-Lagers. Wie ist diese Trendwende zu erklären? Die Experten tappen im Dunkeln.
Offenbar haben neue Zahlen zur steigenden Immigration den EU-Gegnern Rückenwind gegeben. Auch, dass sich Labour gegen den Brexit positioniert, scheint die EU-Gegner zu motivieren.
Entscheidend dürfte aber die argumentative Schwäche des „Remain“-Camps sein. Sie hat sich auf ihr „Project Fear“ verlassen, nennt aber keine guten Gründe für EUropa.
Gewiss, angesichts der EU-Krisen ist das auch verdammt schwer. Aber eine reine Angstkampagne reicht eben nicht aus, um zu überzeugen. Premier Cameron und Co. müssen sich mehr einfallen lassen.
Eine deutsch-britische Freihandelszone?
Sie müssen endlich sagen, wie sie sich „ihre“ EU vorstellen: Soll es eine deutsch-britische Freihandelszone ohne Migranten werden (was ein Widerspruch in sich wäre), oder darf es doch ein wenig mehr sein?
Und sie müssen auch erklären, wie sie es mit der Demokratie halten. Bisher weiß man von Cameron nur, dass er EU-Spitzenkandidaten ablehnt und mit dem Europaparlament fremdelt.
Eine Klarstellung wäre auch für die Kontinental-Europäer wichtig. Denn mit Insulanern, die nur deswegen in der EU bleiben, um alles zu blockieren und noch mehr Rosinen zu picken, ist niemandem gedient.
Da wäre ein Brexit dann fast schon vorzuziehen…
Skyjumper
2. Juni 2016 @ 09:17
„……bestimmen eben die drei Affen das mediale Geschehen…….“
Ich nenne es Tabuisierung. Und weil es sich so schön anbietet an dieser Stelle die Nazikeule zu schwingen noch folgende Gedankenanregung:
Zu Beginn des 3. Reiches war es nicht verboten in jüdischen Geschäften einzukaufen. Man wurde nur sehr genau dabei registriert. „Man tut das nur einfach nicht“. Und heute? Es ist natürlich nicht verboten kritisch über die EU zu berichten, es gibt auch (meines Wissens nach) keinerlei Zensur. „Man tut das nur einfach nicht“.
S.B.
2. Juni 2016 @ 08:52
Hier noch eine interessante Meldung zum Thema „EU als Eliten-Projekt“:
Tusk geißelt das »utopische« Europa:
http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/markus-gaertner/tusk-geisselt-das-utopische-europa-deutsche-medien-schweigen-dazu.html
Bezeichnend, dass in den deutschen Medien aber auch rein gar nichts zu Tusks Aussagen zu sehen, zu lesen und zu hören ist. Wenn es gegen den abgehobenen Europa-Wahn der Politik-Eliten geht, bestimmen eben die drei Affen das mediale Geschehen. Und so etwas nennt sich „unabhängig und neutral“…
kaush
1. Juni 2016 @ 10:15
Genau das ist das Problem: Es ist eine EU für Banken u. Großkonzerne.
Was hat der normale Bürger in Großbritannien davon? Das er in London die Miete nicht mehr bezahlen kann.
Ich bin nächste Woche auf der Insel. Was kann ich da im Pub als Pro-Argument anbringen? Für den normalen Bürger!
kaush
1. Juni 2016 @ 09:53
Trotz aller Rosinenpickerei / Nachlässe, ist Großbritannien Nettozahler. Rund 5 Milliarden Euro jährlich. 5.000 Millionen Euro jedes Jahr.
Schönes Geld.
Gerade mal ein siebtel macht der Handel mit EU-Staaten aus.
Sie haben ihre eigene Währung, fahren auf der anderen Straßenseite und das metrische System geht ihnen am … vorbei.
Migranten haben sie schon reichlich, dafür brauchen sie die EU auch nicht.
Welche dollen Errungenschaften, welche Vorteile würde der britische Bürger bei einem Brexit verlieren?
ebo
1. Juni 2016 @ 10:02
Denk mal an die City of London – und daran, wo sie ihre besten Geschäfte machen!
Skyjumper
1. Juni 2016 @ 10:42
@ebo
Ja genau. Und diese Geschäfte der CoL machen bereits einen erklecklichen Teil des Siebtels aus von dem @kaush geschrieben hat.
Und was hat der normalsterbliche Brite davon? Soll das eine Krankenschwester in Manchester, einen Bauern in Wales, oder einen Bobby in Nordirland wirklich davon überzeugen dass es gut für ihn sei wenn Großbritannien in der EU bleibt?
ebo
1. Juni 2016 @ 10:47
Das sehe ich ganz ähnlich. Übrigens hat der Rest der EU auch nicht viel davon, dass die City mit dem Euro ihre Geschäfte macht. Nur Frankfurt möchte unbedingt die LSE übernehmen – warum wohl?
S.B.
1. Juni 2016 @ 11:28
@ebo: kaush hat ja nicht nach den Vorteilen gefragt, welche die CoL verliert, sondern der britische Bürger. Im Gegensatz zur CoL dürfte es da nicht viel geben. Im Gegenteil: Das Treiben der Banken und damit der CoL ist für den britischen Bürger mehr als schädlich und nicht nur für ihn. Auch daran erkennt man wieder: Die EU ist nicht für die Bürger gemacht. Warum sollen „die Briten“ dann aber dabei bleiben?
Peter Nemschak
1. Juni 2016 @ 07:59
Die guten Gründe werden für selbstverständlich genommen. Das betrifft leider alle Mitgliedsstaaten.
Skyjumper
1. Juni 2016 @ 09:09
Das ist leider auch nur ein pauschaler Rundumschlag ala „Ohne Euro scheitert Europa“ oder „Ohne EU versinkt Europa im Krieg“.
Wichtig wäre tatsächlich eine Diskussion. Welche Vorteile hat die EU für die Bevölkerungen? Welche Nachteile ergeben sich für die Bevölkerungen aus der EU? Wie gewichtet man die einzelnen Punkte, was ist „nice to have“, was ist elementar?
Ohne eine solche Diskussion in der Breite der Bevölkerungen wird die EU immer nur ein übergestülptes Zwangskonstrukt sein das bei jeder Gelegenheit Feuer bekommt.
Allerdings ist es bedauerlicherweise so, dass diese Diskussion nicht nur nicht stattfindet, sie wird sogar aktiv torpediert wenn sich doch mal Anflüge zeigen. Eine Diskussion ist nämlich nur dann eine wenn das Ergebnis offen ist. Aber wer heutzutage gegen die EU (oder andere Punkte die angeblich Konsens sind) etwas zu sagen wagt ist „Pack“, „Rechtspopulist“, „Nationalist“ und/oder dergleichen mehr.
Auf die Weise muss man sich nicht wundern wenn selbst gute Gründe nicht mehr als solche wahrgenommen werden.