Gefährliche Panikmache

Der Streit um die “Armutsmigration” geht unvermindert weiter. Obwohl der befürchtete Ansturm von Bulgaren und Rumänen ausgeblieben ist, schlagen CSU und CDU weiter auf Brüssel ein. Wenn es dabei nur um Populismus ginge, wäre es wohl kaum der Rede wert. Doch es geht um mehr.

Es sei “zum Verzweifeln, wie wenig diese EU-Kommission die Lebensrealität der Menschen in Europa zur Kenntnis nimmt,” sagte CSU-Chef Seehofer. Doch von welcher Lebensrealität spricht er?

Seit der vollständigen Öffnung der Grenzen am 1. Januar hat sich an der Zahl der “Armutsflüchtlinge” kaum etwas geändert. “Die Völkerwanderung fällt aus”, meldete das “Handelsblatt”.

Wenn überhaupt, ziehen arme Bulgaren und Rumänen nach Berlin und an Rhein und Ruhr. Nach Bayern hingegen kommen vor allem  qualifizierte, arbeitswillige Menschen, die die Wirtschaft händeringend sucht.

Offenbar nutzt Seehofer, ähnlich wie der britische Premier Cameron, das Thema für populistische Profilierungsversuche. Die bayerische Kommunalwahl im März und die Europawahl im Mai lassen grüßen.

Dennoch kann man die Sache nicht unter Populismus ablegen. Denn es geht um mehr. Zwei Prinzipien stoßen aufeinander: die (EU-weite) Freizügigkeit und die (nationale) Zuständigkeit für die Sozialpolitik.

Beides sind Grundpfeiler des europäischen Rechts. Die Kommission tut jedoch so, also gehe es einzig allein um Freizügigkeit. Den sozialpolitischen Aspekt vernachlässigt sie schändlich.

Vom Ausgang des Streits könnte die Zukunft der EU abhängen. Schotten sich die reichen EU-Länder gegen die armen ab, und sei es um den Preis der Freizügigkeit und der Freiheit?

Oder schaffen wir es, das Wohlstandsgefälle zu lindern, und europaweite Mindeststandards in der Sozialpolitik einzuführen? Das sind die Fragen, um die es wirklich geht.

Doch sie werden im aktuellen Getöse, in das sich zunehmend nationalistische und chauvinistische Töne mischen, verdeckt. Die Politiker spielen mit dem Feuer, Kanzlerin Merkel duckt sich (wie immer) weg.

Genau deshalb ist die Polemik so brandgefährlich…