Gebrochene Versprechen
Fünf Jahre nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers hat sich Europa immer noch nicht von den Folgen erholt. Die Finanzkrise ging in eine Banken- und Eurokrise über; die versprochene Regulierung blieb Stückwerk. Ein Fazit und Forderungen aus globalisierungskritischer Sicht.
Der 15. September 2013 markiert den 5. Jahrestag der spektakulärsten Pleite der Finanzkrise 2007/2008 – den Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers als Folge der US-Immobilienblase. Die europäischen Regierungen reagierten darauf mit starken Ansagen zur Reform des Finanzsektor „nicht nur um der Krise zu begegnen sondern auch um weitere Krisen zu verhindern“, wie EU-Kommissionspräsident Barroso formulierte. Fünf Jahre danach sind die Ergebnisse völlig unzureichend.
Die Finanzkrise führte zu einer verheerenden wirtschaftlichen Krise in Europa. Die Arbeitslosigkeit stieg bis zum Rekordwert von fast 26 Millionen Menschen – unglaubliche 10,7 Prozent – die Jugendarbeitslosigkeit ist noch viel dramatischer. Durch den Beginn dieser Eurokrise wurden schmerzhafte Kürzungsmaßnahmen in nahezu allen europäischen Ländern umgesetzt, während hunderte Milliarden in Bankenrettungen flossen. Die europäischen BürgerInnen haben einen enormen Preis bezahlt. Nun haben Sie ein Recht auf effektive Reformen, die uns vor einem weiteren Beinahe-Kollaps des Finanzsystems bewahren. Doch auch nach 5 Jahren „Finanzreformen“ in der EU halten sie wenig bis nichts davon in Händen.
Es ist offensichtlich: Die europäischen Banken sind weiterhin unterkapitalisiert. Die europäische Bankenregulierung erlaubt Banken wie der Deutschen Bank oder Barclays mehr Kredite zu vergeben als Lehman vor der Pleite.[i] Das Volumen an den Derivatemärkten steigt weiter und ist sogar höher als vor fünf Jahren.[ii] Nur wenige „hochgiftige“ Finanzprodukte wurde verboten, darunter nicht einmal die hochkomplizierten „forderungsbesicherten Wertpapiere“ (asset-backed security, ABS,) die eine wichtige Rolle in der Krise spielten.
Eine der Hauptursachen für dieses Versagen ist der enorme Erfolg der Finanzlobbies. Diese lässt sich die Beeinflussung der EntscheidungsträgerInnen Millionen kosten und setzt dabei auf erfolgreich auf Panikmache. Eine Regulierung des Finanzsektors würde die Arbeitslosigkeit erhöhen – angesichts der beschriebenen Folgen der Finanzkrise eine völlig absurde Argumentation.
Die Finanzindustrie hat weiterhin ungebrochenen und privilegierten Zugang zu den politischen EntscheidungsträgerInnen. Dies zeigt sich etwa in den Debatten um neue Regeln für Banken oder Derivate. Die “Alliance for Lobbying Transparency and Ethics Regulation in the EU” (ALTER-EU)und viele weitere haben wiederholt aufgedeckt, wie die Beratergremien von EU-Kommission und EU-Rat von den VertreterInnen der Finanzindustrie dominiert werden. Auch in der kürzlich eingerichteten Gruppe zur Erarbeitung von Regeln gegen Steuervermeidung und Steuerbetrug geben sich die VertreterInnen jener großer Steuerkanzleien die Türklinke in die Hand, die internationale Konzerne höchst erfolgreich dabei beraten, wie sie ihre Steuern minimieren können.
Bevor es daher zu einer wirklichen Reform des Finanzsektors kommen kann sind folgende Maßnahmen nötig
- Ein neuer demokratischer Ansatz zur Regulierung des Finanzsektors, der den Einfluss der Finanzylobbys in Brüssel eindämmt. Dafür benötigt es Beratergremien, die nicht von Finanzlobbies dominiert werden und ein Ende des „Drehtürprinzips“, also des raschen und oftmaligen Wechsel von Vertretern der Finanzindustrie in Regierungen und umgekehrt.
- Ein sofortiger und struktureller Neuanfang der Reformvorhaben für den Finanzsektor. Dieser muss garantieren, dass diese so schmerzhafte Finanz- und Wirtschaftskrise zu starker Regulierung und demokratischer Kontrolle des Finanzsektors führt. Dieser muss der Gesellschaft dienen und nicht umgekehrt. Nötige erste Schritte dafür sind eine effektive und unverwässerte Finanztransaktionssteuer, höhere Eigenkapitalvorschriften für Banken, die Aufteilung von „too big to fail Banken, die Reduktion und Schrumpfung der Bedeutung des Finanzsektors und eine Ende von Spekulation – etwa im Bereich der Lebensmittel.
- Effektive Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidung und Steuerbetrug. Laut EU-Kommission würde dies 1.000 Milliarden Euro im Jahr einbringen – mehr als die aktuellen europäischen Kürzungsprogramme ausmachen.
- Maßnahmen, die die Verantwortlichen für Skandale, Täuschung von KonsumentInnen, Betrug und kriminelle Machenschaften im Finanzsektor persönlich haftbar machen. Es ist nicht hinnehmbar, dass etwa in Fällen wie dem Libor-Skandal oder HSBC´s Rolle bei Geldwäsche Banken eine Zahlung leisten, während die Verantwortlichen unbestraft bleiben. Banken sollten niemals “ too big to jail“ sein.
Die letzten fünf Jahre waren eine riesige Enttäuschung. Für die europäischen Bürgerinnen und zivilgesellschaftlichen Gruppen ist klar, dass in den kommenden Jahren eine effektive Regulierung des Finanzsektors, nun endlich auf die politische Agenda muss – auch auf jene der europäischen Wahlen 2014.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Website des Corporate Europe Observatory. Dort findet sich auch die Liste der Unterzeichner. Lost in EUrope gehört auch dazu – und empfiehlt diesen lesenswerten Beitrag vom BlickLog: “Ohne Staatshilfen überlebt der Finanzsektor nicht”
GS
18. September 2013 @ 13:01
Es ist ja nicht falsch, was in diesem Beitrag geschrieben steht, aber es fehlt etwas. Es interessiert zum Beispiel, wie die Banken besser kapitalisiert werden sollen. Wo stammen die Mittel her? Und was passiert eigentlich, wenn man die Banken dazu zwingt, ihre “Leverage” zu reduzieren. Welche Auswirkungen hat das auf ihre Kreditvergabe und dann für die Volkswirtschaften? Kredit ist unser Treibstoff und was ist, wenn er ausbleibt?
Insofern sind auch die Maßnahmen, die hier empfohlen werden, nicht diejenigen, die irgendetwas reparieren werden. Was nicht heißt, dass sie alle schlecht sind und nicht trotzdem gemacht werden können. Allerdings sollten einige Einschränkungen gemacht werden. Die Finanztransaktionssteuer ist Quatsch, wenn gerade mal die halbe Eurozone da mitmacht. Und selbst wenn es die ganze Eurozone wäre, wäre sie Unsinn. An den großen Finanzplätzen der Welt, alle außerhalb der Eurozone gelegen, wird man sich totlachen und das Rad einfach weiterdrehen. Abgesehen davon, ist mir das mit der Gebühr für alle Transaktionen auch unausgegoren. Warum soll jeder Hans Wurst mit seinen paar Aktien, Anleihen und Zertifikaten zusätzlich zur Einkommensteuer/Abgeltungssteuer belastet werden? Wie macht das das Finanzsystem stabiler? Und welche Logik steckt dahinter, dass man einerseits private Vorsorge als dritte Säule der Altersvorsorge ausbaut, gleichzeitig aber dann wieder mit neuen Lasten kommt? Jedes Mal, wenn der Altersvorsorgefonds, die Lebensversicherung, oder welches Vehikel man nutzt, also den eigenen Bestand umschichtet, soll dann eine zusätzliche Abgabe anfallen? Tut mir leid, ich habe das Gefühl, auch diese Steuer wird wieder die falschen treffen. Die großen Spekulanten, die die Kurse bewegen, die High-Frequency-Trader und andere werden wie immer eine Ausweichmöglichkeit haben, Hans Wurst wohl eher nicht.
Und eine Billion will man durch die Bekämpfung von Steuerbetrug und -vermeidung einnehmen? Ich halte die realisierbare Summe für weitaus geringer. Steuerhinterziehung wird es immer geben, man kann ein wenig am Niveau drehen, aber alles wird man nie abschöpfen können. Und Steuervermeidung ist doch etwas ganz anderes. Jeder versucht doch, seine Steuerlast zu senken. Dafür gibt’s ja die Steuererklärung. Und wenn die Massen wüssten, was man alles machen kann, wären die durchschnittlichen Steuerrückzahlungen noch weitaus höher. Unternehmen sind natürlich weitaus besser informiert, und haben auch mehr Möglichkeiten, zum Teil ziemlich abstruse. Aber man sollte schon dazu sagen, dass das Schließen von Schlupflöchern genauso wirkt wie eine Steuererhöhung. Ob es der europäischen Wirtschaft so gut tut, wenn man einfach eine Billion Euro Steuern mehr eintreibt, ohne dass irgendwer entlastet wird, sei mal dahin gestellt.
thewisemansfear
19. September 2013 @ 19:03
Geben wir uns von vornherein geschlagen, soll das deine Meinung sein?
Zur Finanztransaktionssteuer: Klar wäre das wünschenswert, wenn alle mitmachen würden, aber so muss irgendwer mal den Anfang machen.
Ziel ist ein stabileres System, was soll die Argumentation mit dem Hanswurst und seinen paar Aktien? Den treffen 0,1% Transaktionskosten doch gar nicht wirklich. Aktuell sind ja nur noch 0,01% und etliche Ausnahmen im Gespräch, das ist schon wieder fast ein Witz. Wichtig ist, dass der Hochfrequenzhandel eingedämmt wird, das ist doch nichts anderes als automatisiertes Gezocke. Welcher *Nachteil* erwächst der Realwirtschaft, wenn dieser Unsinn nicht mehr stattfände?
Womit verdienen die Banken denn aktuell ihr Geld? Durch Kreditvergabe an die Realwirtschaft oder durch Spekulation? Hast du dich schon mal mit dem “Herdentrieb” der Akteure an den Finanzmärkten auseinandergesetzt? Durch das Deleveraging muss Luft aus der Blase gelassen werden, das sorgt wiederum für mehr Stabilität.
Deine Argumentation zum Schließen von Steuerschlupflöchern kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen (“wirkt wie eine Steuererhöhung”).
Der Ehrliche ist also der Dumme? Wenn nur mehr Leute wüssten, dass das bittere Realität ist, was meinst du wie schnell das System in sich zusammenfallen würde?
Andres Müller
17. September 2013 @ 17:37
Bei einem zum Vorjahresmonat um 5% niedrigerem PKW -Neuwagen- Verkauf der EU Zone im August 2013 kann ich nicht mal im Ansatz Erholung erkennen. Wenn die Börsen hingegen steigen, dann scheint die Rechnung für Grossinvestoren dennoch aufzugehen (vorerst noch). Die Krise hat sich also seit 2008 als Vermögensbeschleuniger für Milliardäre entpuppt, daher dürfte das Interesse der Politik eher in dessen Erhalt liegen.