Rehn rechnet falsch

Die EU-Kommission sieht schwarz: Die Rezession wird auch 2013 anhalten, die Arbeitslosigkeit erreicht neue Höchststände, Defizitziele werden verfehlt. Mal abgesehen davon, dass bisher alle Prognosen falsch waren: die Kriterien zur Bewertung der Lage sind fragwürdig, wichtige Kennziffern fehlen.

Heute tagte das Jüngste Gericht in Brüssel. Währungskommissar Rehn hat seine Konjunkturprognose vorgelegt. Wie üblich wurde halb Europa gerügt, indirekt drohte die Kommission auch mit Strafen. Rehn selbst muss keine Sanktionen fürchten, obwohl seine Prognosen regelmäßig falsch sind.

Deutschland wird sich nun wieder als Musterschüler präsentieren. Zwar macht Finanzminister Schäuble trotz sprudelnder Steuerquellen neue Schulden, und der deutsche Leistungsbilanzüberschuss sprengt alle EU-Grenzen. Aber egal, Brüssel schaut weg.

Willkür bei den Obergrenzen

Es herrscht nämlich Willkür bei den Kennziffern. Ein Leistungsbilanzdefizit von drei Prozent ist eine Rüge wert, ein Überschuss von drei Prozent hingegen nicht. Die Grenze liegt (auf deutschen Wunsch) bei sechs Prozent, auch danach passiert nichts.

Genauso willkürlich ist die Obergrenze für den Schuldenstand. 60 Prozent des BIP sind offiziell zulässig, Deutschland liegt bei über 80 Prozent – doch ernst wird es erst bei über 100 Prozent, wie die Eurokrise gezeigt hat.

Die Neuverschuldung hingegen, für die ein Grenzwert von drei Prozent gilt, hat die Märkte bisher kaum gejuckt. Erst als Griechenland die Zehn-Prozent-Marke riss, gab es Ärger. Spanien und Irland lagen unter drei, trotzdem rutschten sie in die Krise.

Am schlimmsten ist jedoch, dass die wichtigsten volkswirtschaftlichen Kennziffern fehlen. Es gibt weder eine Zielvorgabe für das Wachstum noch eine für die Arbeitslosigkeit. Von Armut, sozialer Gerechtigkeit etc. ganz zu schweigen.

Während die US-Zentralbank eine Arbeitslosigkeit von unter 6,5 Prozent anpeilt (ansonsten bleibt es beim Nullzins), nehmen Rehn, Schäuble & Co. in den Krisenländern sogar noch Quoten von über 20 Prozent schulterzuckend hin.

Nun muss man nicht alles machen wie die USA, die ihr Budget bekanntlich überhaupt nicht im Griff haben. Sich aber allein aufs Sparen zu konzentrieren, und dabei Wachstum und Arbeitslosigkeit als Variable zu behandeln, wäre fatal.

Diskussionsverbot

Ohne Wachstum wird man die Defizite nämlich nie und nimmer abbauen. Mit der seit drei Jahren forcierten Austeritätspolitik hingegen würgt man die Konjunktur so stark ab, dass sogar noch die Sparziele verfehlt werden.

Griechenland, Spanien und Portugal liefern dafür anschauliche Beispiele. Im IWF hat daher ein Umdenken begonnen. In Washington wird offen über den verfehlten Sparkurs diskutiert.

Rehn hingegen hat ein Diskussionsverbot verhängt. Die Debatte über die so genannten fiskalpolitischen Multiplikatoren sei „nicht hilfreich“ und könne „das Vertrauen unterwandern“, schrieb er an die Finanzminister.

Für den US-Nobelpreisträger P. Krugman ist dies ein Zeichen, das Rehn & Co. in die Defensive geraten sind. In seinem Blog spricht er sogar von „gratifying signs of desperation“. Da kennt er aber Rehn und Schäuble schlecht…

P.S. Genauso wichtig wie neue Obergrenzen und Kennziffern wäre es, den Euroraum endlich als Einheit zu betrachten. Die aggregierten Daten sind für eine effiziente Wirtschaftspolitik ebenso nötig wie nationale Zahlen. Aber das ist ein anderes Thema…