Fünf deutsche Mythen zum Brexit
Der Brexit kann doch eine Merkel nicht erschüttern. So tönt es nach dem May-Besuch im deutschen Blätterwald. Doch diese vorgeblich pragmatische Einschätzung ist falsch, wie so manche deutsche Selbstgewissheit.
Hier fünf aktuelle deutsche Mythen zum Brexit und seinen Folgen:
- Der Brexit juckt die deutsche Wirtschaft nicht: Falsch. Nach den letzten Schätzungen des IWF dürfte die Konjunktur in Deutschland sogar die größte Bremsspur zeigen. Merkels Zögern ist deshalb verkehrt, sie sollte schnell gegensteuern.
- Unternehmen wollen einen weichen Brexit: Falsch. Nach einer FAZ-Umfrage fordern deutsche Firmenchefs einen harten Kurs gegenüber UK. Auch die in diesem Punkt liegt Merkel offenbar falsch, Industrienähe ersetzt keine gute Politik.
- Die Bürger wollen nicht mehr Europa: Falsch. Nach dem Brexit ist die Zustimmung zu EU Integration sogar größer geworden, wie mehrere Umfragen belegen. Finanzminister Schäuble liegt mit seinem Anti-Brüssel-Kurs voll daneben.
- Merkel macht alles richtig. Nein, sogar Cameron hat sie für den Brexit mit verantwortlich gemacht, wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Seit dem britischen Referendum steht die Kanzlerin auf der Bremse, auch das ist verfehlt (siehe 1.).
- Juncker macht alles falsch. Der Chef der EU Kommission muss seit dem Brexit als Sündenbock herhalten. Dabei exekutiert er nur, was ihm Merkel & Co. vorgeben. Wenn man ihm etwas vorwerfen kann, dann fehlende Eigeninitiative…
Skyjumper
21. Juli 2016 @ 11:08
Scheinbar ist immer ALLES falsch 🙂
Ja, so langsam werden die Horrorszenarien über die wirtschaftliche Entwicklung in GB, die VOR dem Referendum als Angstmache verbreitet wurden, durch die etwas rationaleren Szenarien ersetzt.
Das GB nicht so hart getroffen wird wie zuvor behauptet haben viele Leute schon vor dem Referendum gesagt. Sie haben Recht behalten.
Das DE mit seinem exportabhängigen Wirtschaftsmodell mindestens genauso leiden würde war auch absehbar. Nur die trotteligen Medien in DE stellen die deutsche Wirtschaft gerne als den überstarken guten Onkel da, der dem leicht debilen Neffen in England mal die guten Tipps gibt was er besser tun sollte, und was er besser lassen sollte.
Aber eben aus diesen Grund ist es für DE auch so wichtig den Brexit auf eine Weise abzuwickeln die möglichst leise ist, und mit möglichst geringen Eingriffen in die Handelsverhältnisse auskommt. Eine Vorgehensweise die für ALLE Beteiligten sinnvoll ist. Aber sowie May, Merkel, wer-auch-immer, so vorgeht wird das (nicht nur hier im Blog) als Zögern, Bremsen, Aussitzen bezeichnet.
Es geht hier nicht um irgendeinen Aktionismus, Rechthaberei und Eitelkeiten. Es geht darum ein erfolgtes Votum des Souveräns auf die bestmögliche Weise umzusetzen. Und ich bin recht sicher das dazu auch ein möglichst umfangreicher Erhalt des Frei-/Binnenhandels gehört.
Rosinenpickerei? Ja klar. Was denn sonst? Wir haben doch die beschissene EU genau dafür. Um Rosinen zu haben, damit es uns gut geht. Nicht um aus Prinzipienreiterei auf den Steinen rumbeissen. Die Briten haben das schon lange kapiert. Aber speziell “die Deutschen” brauchen immer irgendeine Moral an der sie sich hochziehen können um dann “still” zu leiden weil wir ja moralisch so wahnsinnig gut sind.
Und ansonsten wäre ich mit Umfrageergebnissen in der jetzigen Zeit noch vorsichtiger als man das sowieso schon sein sollte. Ganz besonders mit Umfragen die aus dem Dunstkreis der herzschmerz eu-verliebten deutschen NGO’s und Verlage kommen.
kaush
21. Juli 2016 @ 10:10
Oh je ebo, da spricht die Verzweiflung eines Anhängers der Vereinigten Staaten von Europa.
Wollen wir uns Umfragen und Prognosen um die Ohren hauen, die jeweils die eigene Meinung bestärken?
Zum Punkt 1:
“In einer Umfrage der Unternehmensberatung KPMG unter 125 Firmenchefs in Deutschland, die allerdings vor dem Referendum stattfand, sagten jeweils 46 Prozent, dass sich der „Brexit“ positiv auf das Umsatzwachstum beziehungsweise die Expansionspläne des eigenen Unternehmens auf dem europäischen Markt auswirken wird. 35 beziehungsweise 44 Prozent erwarten keine diesbezüglichen Auswirkungen; jedes fünfte Unternehmen rechnet mit einem Umsatzrückgang (19 Prozent).”
http://www.focus.de/finanzen/news/mehr-umsatz-deutsche-firmenchefs-wittern-durch-brexit-neue-geschaeftschancen_id_5673417.html
Das passt auch zur von Dir zitierten FAZ-Umfrage. Dort glauben 85% der s.g. Spitzenkräfte, dass sich der Brexit kaum oder nur gering für Deutschlands Wirtschaft auswirkt.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/brexit-fuehrungskraefte-gegen-zugestaendnisse-an-briten-14348246/infografik-wie-spitzenkraefte-14348423.html
Zum Punkt 3: Wer beauftragt die Umfrage + wie ist die Fragestellung = die gewünschte Antwort.
Hatten wir doch schon.;)
ebo
21. Juli 2016 @ 10:29
Keine Panik, ich bin nicht einfach für mehr Europa, sondern für eine andere Politik, was die Änderung der Spielregeln impliziert. Was die Wachstumsaussichten bettrifft, so verweise ich auf einen Artikel im Telegraph, der es prägnant zusammenfasst. Nicht meine Lieblingsquelle, aber die Zahlen sind vom IWF, und die deutschen Medien bringen es einfach nicht auf den Punkt… http://www.telegraph.co.uk/business/2016/07/19/imf-slashes-uk-growth-forecasts-after-brexit—but-britain-will/
S.B.
21. Juli 2016 @ 09:15
Zu Nr. 3: “Die Bürger wollen nicht mehr Europa: Falsch. Nach dem Brexit ist die Zustimmung zu EU Integration sogar größer geworden, wie mehrere Umfragen belegen. ”
Bei Umfragen gilt wie bei Statistiken: Traue nur denjenigen, die Du selbst gefälscht hast! 😉
@ebo: Die Pro-EU-Propaganda-Maschinerie läuft, insbesondere in D, nach dem Brexit auf Hochtouren. Also ich wäre da etwas vorsichtiger bei der Übernahme solcher Umfrage-Ergebnisse. Persönlich kenne ich einige Leute, die bisher doch eher pro EU waren und mittlerweile in Anbetracht der Gesamtumstände (nicht nur Brexit) stark ins Zweifeln kommen. Aber vielleicht sollte ich besser Umfrage-Ergebnissen trauen, als meinen eigenen Wahrnehmungen. 😉
Peter Nemschak
21. Juli 2016 @ 14:23
Solange mehr Integration nicht die eigenen Kreise stört, sind viele dafür. Nur: jeder stellt sich unter Integration etwas anderes vor.
Peter Nemschak
21. Juli 2016 @ 06:50
Die Bremsspur wird für Großbritannien größer als für Deutschland ausfallen. Wirtschaftlich starke Länder wie die Schweiz haben gezeigt, dass sie sich bei Stress von außen (z.B.Währungsaufwertung) besser als strukturschwache Länder anpassen können. Ein großes Gegensteuern ist bei den für Deutschland nach wie vor zu erwartenden Wachstumsraten derzeit nicht erforderlich. Was die deutschen Führungskräfte erwarten (die Aussagen sind teilweise widersprüchlich), ist Wettbewerbsneutralität, d.h. sie wollen durch den BREXIT gegenüber Großbritannien keine Wettbewerbsnachteile erleiden. Dies gilt es, bei den BREXIT-Verhandlungen zu berücksichtigen. Die Bürger wollen nicht mehr Europa sondern auf die bisher erreichten Vorteile nicht verzichten. Daher gibt es keine Mehrheit für weitere Austritte aus der EU. Von mehr Integrationswünschen ist hingegen nichts zu merken. Was allerdings fehlt, ist eine unter den EU abgestimmte Flüchtlingspolitik mit dem Ziel der jährlichen Beschränkung der Zuwanderung nach Europa. Eine Obergrenze muss es geben, und sie muss auch durchgesetzt werden, allen Klagen der humanitären Organisationen zum Trotz.