Streit um Freihandel mit Kanada
Offiziell liegt das Freihandelsabkommen mit Kanada noch nicht auf dem Tisch. Doch seit das so genannte CETA von der “Tagesschau” geleakt wurde, gibt es Streit.
Der 1500 Seiten lange Text zeigt nämlich, wie es auch bei TTIP – dem geplanten Abkommen mit den USA – laufen dürfte: Er wurde im Hinterzimmer ausgehandelt, ohne öffentliche Beteiligung.
Und er enthält den umstrittenen Investorschutz ISDS. Dabei hatte das Europaparlament gefordert, auf Sondergerichte für Konzerne zu verzichten. auch die SPD hat sich gegen ISDS ausgesprochen.
Die große Frage ist nun, ob die Sozialdemokraten bei ihrem “Nein” bleiben. Der grüne MEP S. Giegold hat seine Zweifel – und mahnt auf seiner Website zu Wachsamkeit…- Mehr hier
Peter Nemschak
20. August 2014 @ 21:10
@ebo Warum ist die EU-Kommission demokratisch nicht legitimiert? Die Kommissare werden von demokratisch legitimierten Regierungen entsandt? Nachdem es keine europäischen Parteien gibt und auch das europäische Parlament mit national gewählten Kandidaten, die auf Grund nationaler Themen gewählt wurden, besetzt ist, sehe ich, konstruktionsbedingt, keine bessere Legitimation. Letztlich werden Freihandelsabkommen in den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten und Parlamenten diskutiert und de facto von den nationalen Regierungen im Rat entschieden. Was wäre für Sie Legitimation? Das Verhältnis Kommission und Europaparlament ist nicht mit dem Verhältnis nationale Regierung und Parlament vergleichbar.
Johannes
20. August 2014 @ 16:53
Weitere Munition um bei kommenden Euro- und Bankenrettungen der SPD anti-europäische Tendenzen unterstellen zu können.
Man, man liebe SPD, erst im NSA Skandal sich gegen Europa aussprechen und nun auch noch CETA? Denkt dran, nicht die NSA noch die Wirtschaftsbosse wählen euch, sondern die Bürger!
Die SPD scheint wie zu Schröders Zeiten zu vergessen, wer ihre Wähler sind. Gut so 😉
Tim
20. August 2014 @ 16:24
@ ebo
Internationale Abkommen werden praktisch immer “im Hinterzimmer” ausgehandelt, wie Du das so schön verschwörungstheoretisch formuliert hast. Komischerweise wird das aber immer nur bei Freihandelsabkommen beklagt. Wenn es vor der Ratifizierung in den Parlamenten genügend Bedenkzeit gibt, gibt es überhaupt kein Problem.
Beim Thema Schiedsgerichte hat Peter Nemschak schon fast alles Wesentliche gesagt. Vielleicht noch das als Ergänzung: Wenn zwei Staaten etwas vereinbaren und es dann (natürlich) keine übergeordnete Gerichtsinstanz gibt, muß man natürlich selbst eine schaffen. Welche arbeitsfähige Alternative hättest Du denn anzubieten?
ebo
20. August 2014 @ 17:04
@TIm
Wie schön, dass Du alles gut findest. Hat ja auch nur fünf Jahre gedauert, Transparenz gleich null. Selbst jetzt wissen wir noch nicht, ob CETA “wirklich” fertig ist. Derweil kämpfen die Experten im Europaparlament gegen mehr als 1000 Seiten juristisches Fachenglisch an. Alles ganz easy und voll demokratisch…
Was die Schiedsgerichte betrifft: So weit ich weiß, haben Kanada und die EU funktionierende Rechtssysteme. Bei Handelsstreitigkeiten gibt es die WTO, der beide angehören. Es besteht also kein Grund, extralegale Schiedsgerichte einzurichten. Nur aus neoliberaler Sicht, die Du offenbar teilst, brauchen die Konzerne eigene Gerichte…
Tim
20. August 2014 @ 17:48
Äh, nein. WTO-Gerichte betreffen WTO-Streitfälle. WTO-Gerichte können nicht über irgendwelche anderen Vereinbarungen urteilen. Und nationale Gerichte haben im jeweils anderen Staat keine Geltung. Solange es für solche Fälle keine UN-Gerichtsbarkeit gibt, sind Schiedsgerichte sicher die beste (Not-)Lösung.
Was Du eher beklagen solltest, ist das geringe Selbstwertgefühl von Parlamentariern. Wenn ein Parlamentarier einen juristischen Vorschlag nicht versteht oder sonstige Vorbehalte hat, sollte er ihm einfach nicht zustimmen, Punkt. De facto nicken Parlamentarier (auf allen Ebenen) aber alles ab, was ihnen von ihrer Fraktion als wahnsinnig wichtig vorgesetzt wird. DAS ist doch das zentrale Problem, und zwar nicht nur bei Freihandelsabkommen.
Peter Nemschak
20. August 2014 @ 18:59
Schiedsgerichte, bei denen Konzerne ihre Streitigkeiten austragen, gibt es seit langem und mit Erfolg. Das hat mit neoliberal nichts zu tun. Im Hintergrund steht die Ideologie des Primats der Politik über den Markt, wenn es sein muss auch zu Lasten des Rechtsstaates, der nicht nur individuelle Rechte garantiert sondern unter klar definierten Voraussetzungen auch heute schon Eingriffe in diese Rechte zugunsten des Gemeinwohls erlaubt. Dass die heutige Wirtschaftskrise auf Politikversagen zurückzuführen ist, wird von Anhängern dieser Ideologie geflissentlich verschwiegen. Märkte können nur funktionieren, wenn sie entsprechenden Rahmenbedingungen und Begrenzungen unterliegen. Dies wurde von der Politik sträflich missachtet. Ich bin skeptisch, dass die Staatsbürokraten es in Zukunft besser machen würden. Bei Strukturpolitik haben sich die meisten Politiker bisher nicht gerade ausgezeichnet.
ebo
20. August 2014 @ 19:11
Schiedsgerichte sind bisher bilateral ausgelegt, durch Vereinbarungen zwischen demokratisch legitimierten Regierungen. So wurde gesichert, dass nationale Standards eigehalten werden. Nun will sich die demokratisch nicht legitimierte EU-Kommission zum Richter über ISDS aufspielen – und damit über das nationale Recht von 28 Mitgliedstaaten urteilen. Das Europaparlament hat dabei (bisher) nichts zu melden. Wird das Problem immer noch nicht deutlich?
Peter Nemschak
20. August 2014 @ 14:12
Sondergerichte meint wohl Schiedsgerichte, wie sie seit Jahren im kommerziellen Verkehr üblich sind. Auch ordentliche Gerichte müssen sich der Problematik stellen, inwieweit privatwirtschaftliche Verträge durch Volksentscheid nachträglich ausgehebelt werden können. Es geht um Rechtssicherheit für Investoren. Der Rechtsstaat schützt den Einzelnen vor der Willkür der Regierenden bzw dem oft volatilen Volkswillen. Wahrscheinlich können das ordentliche Gerichte in den USA oder ein supranationales europäisches Gericht genauso gut wie Schiedsgerichte lösen. In Wahrheit wollen die Kritiker, dass die Demokratie in jedem Fall über dem Rechtsstaat steht. Die Idee eines Volksstaates ist nicht gerade attraktiv und widerspricht einer freiheitlichen Ordnung.