Europas Poly-Krise (II)

(Fortsetzung von Teil 1)

Denn bisher haben Kanzlerin Merkel und Kommissionschef Jean-Claude Juncker alles versucht, eine „europäische Lösung“ der Flüchtlingskrise zu finden. Statt auf Zäune und Mauern setzen sie auf die Türkei, die den Zustrom über die Ägäis nach Griechenland begrenzen soll.

Doch auch Ankara spielt nicht mit. Bisher habe die türkische Regierung ihre Verpflichtungen aus dem gemeinsamen Aktionsplan nicht erfüllt, kritisiert der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.

„Wenn sich die Türkei nicht stärker engagiert, dann wird es sehr schwierig, die Lage zu meistern“, warnt Avramopoulos. „Wenn wir diese Krise nicht bald lösen, dann droht ein Rückfall in dunkle Zeiten“, fügt er hinzu.

Tusks Regie ist gescheitert

Doch bis zum EU-Gipfel, das steht schon fest, wird sich die Lage nicht mehr entspannen. Neben dem Streit um den Brexit wird auch die Flüchtlingskrise die Tagesordnung beherrschen – und für neue Negativ-Schlagzeilen sorgen.

Tusks Regie ist gescheitert, noch bevor die Akteure die Bühne betreten haben. Auch Merkel droht ein Rückschlag. Denn ihre Pläne für eine solidarische Lösung werden nicht nur von der Türkei und den Visegrad-Staaten, sondern nun auch noch von Frankreich durchkreuzt.

Er sei „nicht dafür“, neue verpflichtende Kontingente für die Verteilung von Flüchtlingen einzuführen, sagte der französische Premierminister Valls am Samstag. Vom EU-Gipfel müsse im Gegenteil die Botschaft ausgehen, „dass wir keine Flüchtlinge mehr aufnehmen“.

Sorgen um Portugal

Dabei ist die Liste der möglichen Streitthemen noch nicht einmal vollständig. Auch die Eurokrise könnte den Gipfel  in Brüssel überschatten.

Neben Griechenland bereiten der EU auch Portugal und Spanien wieder Sorgen. Hinzu kommen Probleme im Banksektor, sogar der deutsche Branchenprimus Deutsche Bank steht unter Druck.

EU-Währungskommissar PMoscovici glaubt zwar nicht, dass sich das Eurodrama wiederholt. „Die existentielle Krise liegt hinter uns“, sagt er.

Die EU habe Konsequenzen gezogen und den Banksektor saniert, so dass die Turbulenzen an den Finanzmärkten keinen größeren Schaden anrichten dürften.

Krise nützt den Populisten

Mehr Sorgen macht ihm die „Poly-Krise“, in die die Union  seit einem Jahr gerutscht ist. Griechenland, der Brexit, nun auch noch die Flüchtlinge – all das sei Wasser auf die Mühlen der Populisten, sagt der Sozialist aus Frankreich, wo der „Front National“ auf dem Vormarsch ist.

Angesichts der Häufung der Krisen mache sich jedoch auch die Einsicht breit, dass Europa nur gemeinsam bestehen kann, gibt sich Moscovici optimistisch. Der geplante Deal mit Großbritannien sei dabei kein Widerspruch.

Cameron wolle sich zwar aus der „immer engeren Union“ verabschieden, die im EU-Vertrag von Lissabon vereinbart wurde. Der Vertrag selbst werde aber nicht geändert, so Moscovici, der europäische Gedanke lebe weiter.