EUropa spaltet
Grünrot oder blaubraun: Bei der Präsidentschaftswahl in Österreich sind beide Lager fast gleichstark. Das liegt nicht nur, aber auch an der Europapolitik: Die EU vereint nicht mehr, sie spaltet.
[dropcap]F[/dropcap]ünfzig Prozent für den FPÖ-Kandidaten Hofer, 50 Prozent für den Grünen Van der Bellen: Perfekter kann ein Patt nicht ausfallen. Einen echten Wahlsieger kann es bei diesem Ergebnis nicht geben.
Wer auch immer sich bei der Stimmenauszählung durchsetzt: Er wird ein gespaltenes Land führen müssen. Die Hälfte wird gegen ihn sein – und gegen die Politik, die er in und mit EUropa macht.
Fest steht auch, dass die Rechtspopulisten von der FPÖ ein historisches Ergebnis eingefahren haben . Die Drohung von Kommissionschef Juncker, sie zu isolieren, hat nicht gewirkt.
Natürlich darf man die Schuld nicht einfach in Brüssel abladen. Jahrzehntelange Kumpanei und Vetternwirtschaft der großen Parteien haben in Österreich die politische Mitte korrumpiert.
Dennoch sei daran erinnert, dass Österreich das Land war, das vergeblich auf die “europäische Lösung” der Flüchtlingskrise gewartet hat, das Juncker und Kanzlerin Merkel versprochen hatten.
Kanzler Faymann war der Politiker, der die “Gipfel der Willigen” für Merkel organisierte. Nun ist er weg vom Fenster – ob die Sozialdemokraten in Österreich jemals wiederkehren, ist offen.
Die Flüchtlingskrise, aber auch die – vorwiegend deutsche – Europapolitik hat den Spaltpilz nach Wien getragen. Am Ende setzte sich nicht die europäische, sondern die nationale Lösung durch….
P.S. Ganz ähnliche Tendenzen lassen sich auch in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden oder Griechenland beobachten – aber dazu später mehr…
kaush
23. Mai 2016 @ 18:50
Jetzt gibt es das vorläufiges Endergebnis inklusive Briefwahlstimmen:
Norbert Hofer
49,7 % (2.223.458)
Alexander Van der Bellen
50,3 % (2.254.484)
Lina
23. Mai 2016 @ 13:03
“Die FPÖ ist keine rechtspopulistische, sondern eine rechtsextreme Partei”
http://m.heise.de/tp/artikel/48/48275/1.html
Peter Nemschak
23. Mai 2016 @ 16:08
In Worten oder Taten?Immerhin gemäßigt genug, dass sie auf Länderebene Koalitionen mit den Roten bildet.
GS
23. Mai 2016 @ 13:00
Die Sache mit der Auszählung der Briefwahlstimmen müssen die Österreicher dringend überarbeiten. Diese entscheiden jetzt über den Wahlausgang und man lässt sich einen ganzen Tag zusätzlich Zeit, um diese auszuzählen. Man fördert damit geradezu die Entstehung von Verschwörungstheorien.
kaush
23. Mai 2016 @ 11:34
Die Fakten bis jetzt:
Der perfekte Patt ist eine Erfindung des ORF.
Die tatsächlichen Ergebnisse sehen anders aus. Da schaut man besser beim Innenministerium nach: http://wahl16.bmi.gv.at
Vdb hat lediglich in Voralberg und Wien gewonnen. Alle anderen Bundesländer haben für Hofer gestimmt.
So das vorläufige Endergebnis ohne Briefwähler.
Ich sehe (wie Ebo) einen deutlichen Bezug zur EU und zur Politik von Merkel.
Skyjumper
23. Mai 2016 @ 12:14
@kaush
Mal abgesehen davon dass wir es ja in wenigen Stunden wissen werden vielleicht doch folgender Hinweis:
“Der perfekte” Patt in den Medien kommt daraus zustande dass 2 Meinungsforschungsinstitute versucht haben die (noch ausstehende) Zählung der Briefwähler einzubeziehen. Die Pattsituation soll sich also MIT Briefwählern ergeben. Beide übrigens letztlich mit einem winzigen Vorsprung für VdB. 2.880 Stimmen bei den einen, 4.000 Stimmen bei den anderen.
Kommt es tatsächlich so, werden die Rufe von “Wahlfälschung” sehr schnell da sein. Und tatsächlich müsste VdB bei den Briefwählern 66 % der Stimmen bekommen (ausgehend von angeblich 900.000 Briefwahlstimmen) um den derzeitigen Vorsprung der Urnenwähler (144.000) für Hofer auszugleichen. Das wäre ein noch größerer Vorsprung als ihn VdB selbst im roten Wien einfahren konnte. Wären es nur 740.000 Briefwähler, eine Zahl die ich auch schon gelesen habe, müßte VdB sogar 69 % erreichen um den Vorsprung Hofer’s einzuholen.
Skyjumper
23. Mai 2016 @ 12:21
Grrr. Kopfrechnen 5-
Korrekt sind es 58 % bei 900.000 Briefwählern und 59,5 % bei 740.000 Briefwählern. Beides übrigens dann durchaus möglich wenn man mal auf das Ergebnis von Wien guckt.
Peter Nemschak
23. Mai 2016 @ 20:39
@kaush Letzteres hat sich nicht als richtig herausgestellt.
Skyjumper
23. Mai 2016 @ 09:52
“Natürlich darf man die Schuld nicht einfach in Brüssel abladen.”
Dies ist hier natürlich ein Blog der sich primär mit der EU als Kernthema befasst, weshalb die Betonung auf die EU-Politik als Spaltpilz verständlich ist. Allerdings bin ich der Meinung das in Ländern wie den Niederlanden, Belgien, Österreich und auch in Deutschland die Ursache für die zu beobachtende Spaltung der Gesellschaften nicht primär in der EU-Politik gesucht werden darf.
Jede Gesellschaft bezieht ihre Stabilität und ihren Konsens letztlich aus einer starken Mitte. Gut genug gestellt um keine existentiellen Sorgen zu haben, verhaftet in der der sogenannten Mitte der Gesellschaft und mit ausreichend Bodenhaftung um auch den Problemen der nicht so gut dastehenden Bevölkerungsanteilen mit Verständnis und einer gewissen Furcht “du könntest auch mal dazugehören” zu begegnen.
Genau diese Mittelschicht wird jedoch allenthalben ausgedünnt. Einige wenige schaffen den Absprung nach oben, deutlich mehr fallen nach unten. Das Häufchen welches fast schon im Spagat auf der immer weiter aufklaffenden Schere balanciert wird immer kleiner. Und mit diesem Häufchen wird auch die Stabilität und der Konsens in den Gesellschaften kleiner.
Dieses Ausdünnen der Mittelschicht liegt jedoch nicht unmittelbar an der EU-Politik. Die Mittelschicht blutet seit vielen Jahrzehnten unter einer immer stärkeren Steuer- und Abgabenlast zu Gunsten des ausufernden Wohlfahrtstaates, und seit etwa 20 Jahren verstärkt unter dem Trend das NEOliberale Günstlingspolitik den Firmen und wirklich Vermögenden immer mehr Lasten abnimmt und auch deren Teil auf den Schultern der Mittelschicht ablegt. Beides geht (weils nur mit Kontrolle funktioniert) mit einer immer stärkeren Bevormundung und Bürokratisierung einher.
Das ist jedoch ganz überwiegend der nationalen Politik der Staaten geschuldet. Die EU liefert da höchstens die berühmten letzten Tropfen und wird durch die Nationalpolitiker oft genug auch lediglich als Buhmann in die vorderste Front gestellt. Die EU macht wahrlich genügend falsch, aber bzgl. des Spaltpilzes habe ich für mich eine andere Verantwortung ausgemacht.
ebo
23. Mai 2016 @ 11:24
@Skyjumper Völlig richtig, die Krise der Mittelschicht spielt eine wichtige Rolle. Allerdings ist sie in fast allen EU-Länder und sogar in den USA zu beobachten, als Folge einer fehlgeleiteten Globalisierung. In Österreich spielt meines Ermessens aber auch die Flüchtlingskrise und die gescheiterte “europäische Lösung” eine wichtige Rolle. Sie hat die Gesellschaft derart polarisiert, dass die Parteien der “Mitte” abgeschmiert sind…
Peter Nemschak
23. Mai 2016 @ 12:48
Als ob das Phänomen Globalisierung überhaupt zu leiten wäre, eine Illusion der Protektionisten von rechts und links. Europa spaltet nicht, aber es eint auch nicht. Bewusst oder nicht haben viele Bürger das Gefühl, dass von den nationalen und europäischen Eliten nicht regiert sondern bloß verwaltet wird und dass wir alle von der Substanz leben, statt neue zu schaffen. Dies verursacht Zukunftspessimismus. Die Menschen erwarten längst überfällige Reformen im Pensions-, Bildungs- und Verwaltungsbereich statt weiterwursteln. In Schweden wurden die mutigen Reformparteien bestätigt statt abgewählt, in Deutschland hingegen hat die eigene Partei Schröder, von dessen Reformen Deutschland bis heute profitiert, hinausgedrängt. Wenn es darum geht, dem Volk das Blaue vom Himmel zu versprechen, sind die Rechtspopulisten den Regierenden weit überlegen. Hinter den Bundespräsidentenkandidaten der Stichwahl verbirgt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Milieus. Die Flüchtlingskrise und die mangelnde Bereitschaft anderer Staaten mitzuhelfen hat die allgemeine Unzufriedenheit und nationale Reflexe verstärkt, aber nicht verursacht.
Claus
23. Mai 2016 @ 07:59
Stimme ebenfalls, lese: „Wer auch immer sich bei der Stimmenauszählung durchsetzt: Er wird ein gespaltenes Land führen müssen. Die Hälfte wird gegen ihn sein – und gegen die Politik, die er in und mit EUropa macht.“
Damit würde sich in Österreich eine Entwicklung fortsetzen, die sich in EU-Kernländern bereits manifestiert hat: In Deutschland stehen wohl nur noch Minderheiten für Merkels EU-Politik, in Frankreich gaben die letzten Wahlen ein recht deutliches Bild, was man von der Politik von Hollande hält und in England dürfte es auch nicht viel anders sein.
GS
22. Mai 2016 @ 22:43
Ohne den Faymann-Rücktritt wäre wahrscheinlich Hofer heute schon in der Hofburg. So hat van der Bellen doch noch beachtliche Chancen durch die Briefwahlstimmen.
Stimme ansonsten Deinen Worten zu, ebo.