Erdogans lupenreine Freunde

Die Unruhen in der Türkei rufen nun auch die EU auf den Plan. Die EU-Kommission hat den “unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt” durch die Polizei kritisiert. Auch deutsche Politiker gehen auf Distanz zu Regierungschef Erdogan – dabei haben sie ihn noch vor kurzem hofiert und seine “Reformerfolge” gelobt. 

Plötzlich kann sich keiner mehr erinnern. Plötzlich wollen sie alle immer schon vor der autoritären Wende in der Türkei gewarnt und mehr Meinungs- und Religionsfreiheit gefordert haben.

EU-Kommission, Europaparlament, Außenminister und Diplomaten zeigen sich schockiert von der Brutalität, mit der Erdogan und seine Polizeitruppen gegen die friedlichen Proteste in Istanbul und Ankara vorgehen.

Dabei haben sie den türkischen Sultan noch vor kurzem hofiert. Kanzlerin Merkel reiste im Februar eigens in die Türkei, um Erdogan persönlich  ihre Reverenz zu erweisen und deutsch-türkische Geschäfte zu machen.

Danach sprach sie sich für die Wiederaufnahme der seit drei Jahren unterbrochenen EU-Beitrittsgespräche aus. Erdogans autoritären Regierungsstil kritisierte sie nicht, auch sonst war von kritischer Distanz nichts zu spüren.

Noch peinlicher agierte Außenminister Westerwelle. Noch vor drei Wochen warb der FDP-Mann “deutlich wie nie” für einen EU-Beitritt, wie die FAZ meldete. Zudem lobte er gemeinsam mit dem türkischen Außenminister “Reformerfolge” am Bosporus.

Angefeuert wurden die Deutschen von den Briten, die seit jeher für einen türkischen EU-Beitritt werben, und sich dabei um EU-Forderungen etwa zur Anerkennung Zyperns genauso wenig kümmern wie um Menschenrechte oder Demokratie.

Auch Frankreich beendete seine Blockadehaltung und versuchte unter Präsident Hollande wieder, die Eiszeit in den bilateralen Beziehungen zu beenden.

Bei so viel Begeisterung durften natürlich auch die Brüsseler EU-Chefs nicht länger zögern. Ratspräsident Van Rompuy reiste im Mai nach Ankara und forderte “konkrete Schritte” zur Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche.

Eigentlich sollten die Verhandlungen in den nächsten Tagen beginnen. Er rechne mit einem Neustart noch im Juni, sagte der irische Außenminister Gilmore noch letzte Woche in Brüssel. Die Iren leiten derzeit den EU-Ratsvorsitz.

Wie die Lage in der Türkei ist, ist den EU-Chefs offenbar völlig entgangen. Sie haben mehr an Geostrategie und an Geschäfte gedacht als an die Demokratie. Dabei weiß jeder, dass Erdogan kein lupenreiner Demokrat ist.

Die große Frage ist nun, wie lupenrein – und prinzipienfest – seine Freunde in Berlin und Brüssel sind. Die nächsten Tage werden es zeigen…