Endlich Streit

Zehn Tage nach dem Brexit-Votum ist in Berlin ein heftiger Richtungs-Streit um Europa entbrannt. Finanzminister Schäuble will die EU-Kommission entmachten, SPD-Chef Gabriel fordert eine andere Politik. Gut so!


[dropcap]A[/dropcap]uf diesen Moment haben wir lange gewartet. Noch bei der Europawahl sah es so aus, als sei die Politik des “deutschen EUropa”, verkörpert vom Duo Merkel/Schäuble, tatsächlich alternativlos.

Nun lässt Schäuble die Hosen runter – und setzt sich vom “Weiter so” der Kanzlerin ab. Seine Offensive läuft auf eine Entmachtung der EU-Kommission und die Rückkehr zum Nationalstaat hinaus.

In eine andere Richtung scheint SPD-Chef Gabriel zu streben. Merkels Vizekanzler fordert eine andere EU-Politik – weg vom Sparkurs, hin zu einer Union, die “entgiftet” und effizient werden soll.

Beide Vorschläge haben nicht viel mit dem Brexit und seinen Ursachen zu tun. Sie reflektieren auch nicht die problematische deutsche Rolle in der EU, sondern wollen offenbar noch mehr “Führung”.

Aber egal: Die Hauptsache ist, dass endlich wieder über EU-Politik gestritten wird. Berlin ist längst die Hauptstadt des deutschen EUropa, nur dort kann der aktuelle Crash-Kurs korrigiert werden.

Damit sich wirklich etwas ändert, sollten auch die Oppositionsparteien einsteigen. Sie müssten die miserable europapolitische Bilanz dieser Regierung offenlegen und Alternativen vorschlagen.

Die Linke hat schon einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt. Demgegenüber scheinen sich die Grünen darauf zu beschränken, den Brexit rückgängig zu machen und den Status Quo zu verteidigen.

Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Dass sich SPD und CDU fetzen, zeigt, dass die europapolitischen Gemeinsamkeiten aufgebraucht sind – und dass Merkel um Rückhalt für ihren Kurs bangen muss.

Ein Jahr nach dem Coup in Griechenland und dem Alleingang in der Flüchtlingspolitik ist das eine gute Nachricht, oder? Die europäische Krise hat – über den Umweg London – Berlin erreicht…