Ein unsicherer Standort?
Bisher war Katalonien ein gefragter Standort in Spanien. Nun verlegen plötzlich zwei Banken ihren Geschäftssitz, laut SPON droht der “wirtschaftliche Exodus”. Und das alles wegen eines Referendums?
Nein, das ergibt keinen Sinn. Wäre es so, dann müßte Großbritannien heute schon bankrott sein, nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 ist schließlich genug Zeit zur Abwanderung vergangen.
Aber UK hat zwei Jahre Zeit bis zum Austritt, und es hat eine eigene Währung. Das hat Katalonien nicht. Außerdem soll alles ganz schnell gehen, die Abspaltung könnte schon nächste Woche erfolgen.
Dennoch ist die Flucht aus dem Standort logisch nicht zu erklären. Denn selbst wenn die Katalanen ernst machen, wird die Region ja nicht unabhängig. Spanien erkennt das nicht an, die EU auch nicht.
Der Euro bliebe auch nach der umstrittenen Sezession erhalten – jedenfalls so lange, wie niemand das unabhängige Katalonien anerkennt und keine neue Währung aus dem Boden gestampft wird.
Woher also die Eile? Ganz einfach. Zum einen nutzt die Zentralregierung in Madrid die Unsicherheit, um Unternehmen anzulocken. Abwanderung ist ein Druckmittel im Wirtschaftskrieg.
Zum anderen wirkt jetzt schon die so genannte Prodi-Doktrin. Sie besagt, dass Katalonien nach einer – rechtsgültigen – Abspaltung kein EU-Mitglied mehr wäre und wieder bei Null anfangen müsste.
Das ist reichlich absurd, wenn man bedenkt, dass Katalonien bisher 100 Prozent des EU-Acquis erfüllt – was man von der Ex-DDR nicht behaupten konnte. Doch die wurde über Nacht zum EU-Mitglied.
Aber ausgerechnet deutsche Politiker und Medien nutzen nun die alte italienische Doktrin (Prodi ist Italiener), um Druck auf die Katalanen zu machen. Das hat ein Geschmäckle – oder nicht?
Claus
8. Oktober 2017 @ 09:25
Zu den oben kommentierten Motiven der Banken-Flucht kommt möglicherweise hinzu, dass die Banken unter einem enormen Kosten- und Risiko-Druck stehen. Draghi’s anhaltendes Nullzins-Schauspiel zerstört bisherige auskömmliche Geschäftsmodelle, und beim Verlassen der Nullzins-Politik werden den Banken jede Menge dann notleidende Kredite um die Ohren fliegen. Also sehr unschön, das Ganze. Fazit: Verschlanken und Fixkosten abbauen, und da wird traditionell beim Personal begonnen.
Wenn die Zentrale der Caixabank von Barcelona nach Valancisa (350 km) zieht, wird (kann) das ein erheblicher Teil der Mitarbeiter nicht mitmachen. Und was gibt es schöneres für jeden Bankenvorstand als eine politische Vorlage zum Personalabbau?
Peter Nemschak
8. Oktober 2017 @ 11:29
Ein Umzug in einer anderen Ort ändert nichts an den internen Strukturen einer Bank, von denen die Anzahl der Mitarbeiter abhängt. Technologie und die Konkurrenz von alternativen Finanzdienstleistern sind die Faktoren, welche den zukünftigen Personalstand beeinflussen.
Peter Nemschak
7. Oktober 2017 @ 14:34
So unlogisch ist das nicht. Sollte der Konflikt eskalieren, würden katalanische Banken bei spanischen öffentlichen Finanzierungen nicht mehr eingeladen werden, spanische Unternehmen, die mit katalanischen Banken arbeiten, müssten fürchten keine öffentlichen Aufträge zu erhalten. Ausländische Gläubiger würden für katalanische Banken Risikoaufschläge für Langfristfinanzierungen verlangen. Erhöhte Unsicherheit will abgegolten werden. Es liegt also im Geschäftsinteresse der betroffenen Banken den Sitz ins Zentrum zu verlegen.
Oudejans
7. Oktober 2017 @ 14:04
>>”Prodi-Doktrin. Sie besagt, dass Katalonien nach der Unabhängigkeit kein EU-Mitglied mehr wäre, den Euro verlöre und wieder bei Null anfangen müsste.”
Klingt so ähnlich, wie der Eichelburg-Reset. Höhle, Faustkeil, Bärenfell, die Richtung.
ebo
7. Oktober 2017 @ 17:14
War damals natürlich auf die Lege Nord gemünzt. Aber was macht das schon? Zur Disziplinierung reicht es allemal…
Peter Hofmann
7. Oktober 2017 @ 12:43
Und die Steuern?
ebo
7. Oktober 2017 @ 14:05
Ja, die Steuern. Sie gehen verloren, wenn Unternehmen abwandern. Aber noch schwimmt Katalonien im Geld…
Peter Hofmann
9. Oktober 2017 @ 16:04
Die Unabhängigkeit Kataloniens bedeutet, dass die oberste Steuerbehörde in Barcelona sitzt, nicht mehr in Madrid. Ohne Einigung mit Spanien sind diese Unternehmen für die spanische Finanzverwaltung dann schlicht Steuerhinterzieher mit allen Konsequenzen: Kontensperrung, Pfändung, Haftstrafen.