Ein Schritt vorwärts, zwei zurück 

Wie sieht die europapolitische Bilanz für 2017 aus? Glänzend, sagen die EU-Granden: Die Wirtschaft boomt, und jetzt haben wir sogar eine nagelneue Verteidigungsunion! Doch es gab auch Rückschritte.

Der erste Schritt zurück betrifft Großbritannien. Die EU-27 sind zwar unerwartet geschlossen aufgetreten. Sie haben der schwachen Premierministerin May fast alles abgerungen, was sie wollten.

Doch ein Diktat aus Brüssel ist keine gute Grundlage für einen geordneten Austritt. Zudem hat es die EU versäumt, den Briten und anderen Ländern eine Alternative zur Mitgliedschaft aufzuzeigen.

Es gibt keine zukunftsweisende Strategie – Brüssel sagt immer nur, was nicht geht. Und wenn mal jemand über eine Perspektive nachdenkt, wie Außenminister Gabriel, fällt die Vision widersprüchlich aus.

2018 droht deshalb der finale Crash – spätestens im Herbst, wenn es um den Abschluss der Brexit-Verhandlungen geht. Wenn man sich dann nicht einigt, könnte doch noch der “harte Brexit” kommen.

Der zweite Rückschritt betrifft Polen und die rechtsstaatliche Ordnung in Europa. Die EU hat viel zu lange gezögert, gegen die autoritäre Rechts-Regierung in Warschau vorzugehen.

Jetzt hat diese Fakten geschaffen, die kaum noch rückgängig zu machen sind. Das nach monatelangem Zögern angestrengte EU-Sanktionsverfahren führt in eine Sackgasse, der Ostblock hält zusammen.

2018 droht Kommissionschef Juncker deshalb ein politisches Waterloo. Es dürfte all jene beflügeln, die – wie Frankreichs Präsident Macron – ein Kerneuropa fordern, und Brüssel erneut schwächen.

Derweil erodiert der Rechtsstaat auch in Ungarn, in der Ukraine und in der Türkei. In Spanien / Katalonien droht eine Verfassungskrise – und die EU hat nichts kommen sehen und kein Problem gelöst.

Echte Fortschritte hat es hingegen in der Wirtschaftspolitik gegeben. Die EU-Kommission hat sich vom Austeritätsdogma verabschiedet und europaweit Investitionen angestoßen. Gut so!

Der Aufschwung ist aber vor allem der Nullzinspolitik der EZB und ihrem umstrittenen Anleihekaufprogramm zu verdanken. Sobald die Zentralbank aussteigt, wird es neue Probleme geben.

Dass nun ausgerechnet ein Hardliner wie Bundesbankchef Weidmann das Steuer der EZB übernehmen soll, mag deutsche Stabilitäts-Fanatiker freuen – für die Wirtschaft ist es keine gute Nachricht.

Und was ist mit der Verteidigungsunion? Abwarten. Bisher hat es nur feierliche Erklärungen gegeben, keine Taten. Mich erinnert das an die 2003 geschaffene “Battlegroup” der EU – sie wurde nie eingesetzt.

Wirklich neu ist bisher nur die Verpflichtung zur Aufrüstung – und die Umwidmung bisher ziviler EU-Mittel für militärische Zwecke. Doch sollen wir uns darüber wirklich freuen?

Deutschland dürfe sich künftig einen Teil seiner EU-Ausgaben auf das 2-Prozent-Ziel der Nato anrechnen lassen, frohlockt ein EU-Politiker. Toll! Warum zahlt die EU nicht gleich bei der Nato ein?

Siehe zu diesem Thema auch mein neues E-Book “Jahrbuch 2017” – mit den besten Blogposts aus dem vergangenen Jahr.