Ein falsches Signal

Die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament empfohlen, türkische Bürger bei Reisen in die EU von der Visapflicht zu befreien. Doch nun regt sich Widerspruch – ein Gastbeitrag.


Von Markus Ferber, MEP*

[dropcap]D[/dropcap]ie Visumsfreiheit ist für mich – das sage ich in aller Deutlichkeit – ein sehr kritischer Punkt, der weit über das hinausgeht, was man eigentlich seriöserweise der Türkei anbieten kann.

Es geht hier nicht nur um die Fragen, wie wir für Wirtschaftsleute oder im Transportbereich zu Lösungen kommen. Das war die ursprüngliche Forderung der Türken.

Fakt ist, die Türkei erfüllt die 72 Kriterien bis heute nicht. Dass die Kommission trotzdem vorschnell diesen Vorschlag auf den Tisch legt, ist ein falsches Signal.

Ich sehe nicht ein, warum wir im Parlament jetzt schon die Arbeit aufnehmen und das Gesetz im Schweinsgalopp durch das Parlament peitschen sollen, bevor die Türkei ihre Hausaufgaben erledigt hat.

Vor einem halben Jahr hatte die Türkei nicht einmal die Hälfte der Kriterien abgearbeitet. Dass sich diese gravierenden Defizite jetzt plötzlich wie von selbst in Luft aufgelöst haben, daran habe ich erhebliche Zweifel.

Die Kriterien die bisher nicht erfüllt sind, sind keine Lappalien. Hier geht es um essentielle Punkte, bei deren Nichterfüllung anderen Ländern ganz klar die rote Karte gezeigt wird.

Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass wir bei der Türkei jetzt alle Augen zudrücken. Mit mir nicht!

Wenn wir eine generelle Visumsfreiheit einführen, habe ich die Sorge, dass wir hier eine zusätzliche Welle an Menschen aus der Türkei haben, die nicht nur 90 Tage sich in Europa aufhalten wollen, sondern länger.

Visafreiheit betrifft vor allem Deutschland

Gehen wir noch einen Schritt weiter und stellen uns die Frage, wo die türkischen Staatsbürger visumfrei wohl hinfahren werden? Vor allem dorthin, wo sie bereits Verwandte haben.

Das heißt die Visafreiheit für die Türkei würde vor allem Deutschland betreffen. Ich befürchte, dass sich auch zehntausende Kurden auf den Weg nach Europa machen könnten.

Diese würden allerdings wieder hauptsächlich nach Deutschland kommen, wo die meisten ihrer Landsleute außerhalb ihrer Heimat zu Hause sind.

Wir müssen uns schon die Frage stellen, ob wir in der Lage sind, den Menschen nach 90 Tagen, länger dürfen sie nicht bleiben, zu sagen, dass sie unser Land wieder verlassen müssen?

Dann kollabiert das Asylsystem

Was geschieht also, wenn jemand nicht gehen möchte und Asyl in Deutschland beantragt? Dann geht sofort die Diskussion los, ob die Türkei ein sicherer Herkunftsstaat ist.

Dann werden uns Pro Asyl, die Linken und die Grünen mitteilen, dass es in der Türkei staatliche Verfolgung gibt. Und dann müssen wir bei jedem Türken im Einzelfall prüfen, ob er ein Kurde ist oder ob individuelle Verfolgung vorliegt.

Dann kollabiert das Asylsystem nicht aufgrund syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge, sondern wegen der Türken, die visumsfrei in die EU gekommen sind.

*Markus Ferber ist Europaabgeordneter der CSU. Bis 2014 war er Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament.