„Die Union zusammenhalten“

Die EU-Krise macht auch den deutschen Gewerkschaften zu schaffen. Sie wollen ein anderes, soziales Europa. Doch dafür müssen sie den Laden erst einmal zusammenhalten. Nur wie?


Wann zerbricht die EU, wer fliegt als Nächstes raus? Seit US-Präsident Trump diese Frage mit einem drohenden Unterton in den Raum gestellt hat, klingeln in Brüssel alle Alarmglocken.

Fast schon verzweifelt versucht die EU-Kommission, die Bürger vom Nutzen ihrer Arbeit zu überzeugen – mit der Abschaffung der Roaming-Gebühren, freiem Internet für alle und Netflix ohne Grenzen.

Doch nicht nur die Eurokraten machen sich Sorgen. Auch die Gewerkschaften fürchten das Schlimmste. Sie haben vom Binnenmarkt, der wichtigsten EU-Errungenschaft, zwar weniger profitiert als die Arbeitgeber.

So lässt das „soziale Europa“, das Jacques Delors bei Schaffung des Binnenmarkts versprach, noch immer auf sich warten. Doch für DGB-Chef R. Hoffmann ist das kein Grund, von der EU abzurücken.

„Wir haben viel geschafft, ohne die Gewerkschaften sähe Europa heute ganz anders aus“, sagte er bei einer Tagung von DGB und Hans-Böckler-Stiftung in Berlin – Motto: „Die Union zusammenhalten – Europa sozial gestalten.“

Neoliberale Deformation

Das Problem sei nicht die EU an sich, sondern ihre neoliberale Deformation – so die Grundthese der Tagung. Für die Deformation sei nicht nur, aber vor allem Deutschland verantwortlich, so Hoffmann.

„Die Bundesregierung hat Systeme der Tarifpolitik in Griechenland, Spanien und Portugal zertrümmert, das ist ein Skandal“, schimpft der DGB-Chef, der selbst lange in der Brüsseler EU-Blase aktiv war.

Wer eine andere Europolitik wolle, müsse auch für einen Politikwechsel in Deutschland eintreten, fordert die SPD-Politikerin G. Schwan. Die Bundestagswahl werde entscheidend.

Doch selbst bei einem Machtwechsel in Berlin kommt das soziale Europa nicht von selbst, warnt Hoffmann. „Wir sind meilenweit entfernt von einer Mehrheit sozialdemokratischer Staaten.“

Soziales Triple A

Außerdem ist die EU vielen Bürgern fremd, ja suspekt geworden. Deshalb wollen die Gewerkschaften die Bürger wieder für Europa gewinnen – durch eine bürgernahe, soziale Politik vor Ort in Betrieben und Kommunen.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Zwar setzt sich jetzt sogar Kommissionschef Juncker für eine „soziale Säule“ in der EU-Politik ein, Europa soll ein „Triple A“ in der Sozialpolitik bekommen.

Doch die neoliberale Politik ist tief in den EU-Regeln verankert. Die Sozialpolitik wird in Brüssel vor allem als Anhängsel der Wettbewerbspolitik begriffen. Und wo die EU sozialpolitische Versprechen macht, bleibt sie unglaubwürdig.

„Armut nimmt zu“

„Die Armut in Europa nimmt zu, nicht ab“, klagt R. Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes. Die Globalisierungs-Verlierer hätten Angst, „noch weiter runtergestoßen zu werden.“

Dagegen helfen keine vagen Versprechen, sondern nur verbindliche soziale Standards, etwa zur Grundsicherung, meint M. Loheide, stellv. Vorsitzende von Eurodiaconia. Sie müssten genauso wichtig wie die Budgetziele sein.

Das setzt jedoch eine völlig andere „Governance“ in der Eurozone voraus, gibt Wirtschaftsprofessor G.A. Horn zu bedenken. Man müsse erst eine „Revolution“ machen, bevor man an eine gemeinsame Sozialpolitik denken könne.

„Austerität ist vorbei“

Das sieht der deutsche Wirtschaftsweise P. Bofinger anders. Der Stabilitätspakt, auf dem die meisten Spardiktate beruhen, sei nicht in den EU-Verträgen verankert. Auch sei die Zeit der Austerität vorbei.

Doch warum bleibt dann immer noch das erhoffte starke Wachstum aus, warum werden immer noch nicht genug neue Jobs geschaffen? Weil die Währungsunion halbfertig sei, so Bofinger – es fehlt die Politische Union.

Nur mit einer Politischen Union ließe sich auch eine gemeinsame Steuer- und Fiskalpolitik schaffen. Bisher dominieren immer noch nationale Interessen, die dem europäischen Gemeinwohl schaden.

Deutsche Dominanz

Doch „mehr Europa“ ist derzeit alles andere als populär, warnt der österreichische Publizist R. Misik. „Wir können die Krise nur mit mehr Europa lösen, doch das kriegen wir nicht hin, weil wir keine Legitimation mehr haben.“

Ein weiteres Problem sei die „deutsche Dominanz“. Denn gerade in Deutschland sei die „Ideologie des permanenten Wettbewerbs aller gegen aller“ besonders tief verankert. Die Solidarität bleibt auf der Strecke.

Einen Funken Hoffnung hat Misik dann aber doch noch: Er setzt auf den Trump-Effekt. „Trump ist eine Chance, weil man sich mit einer Anti-Trump-Position legitimieren kann“, so der Österreicher.

Bisher spricht aber wenig dafür, dass die EU diese Chance nutzt. Die Gewerkschaften werden noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um das soziale Europa voranzubringen – und die Union zusammenzuhalten…

Siehe auch: „Wir könnten auch anders“
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