Die neuen Mauern
Nun feiert auch das Europapaparlament 25 Jahre Mauerfall. EP-Präsident Schulz warnt davor, neue Mauern in Europa hochzuziehen. Offenbar meint er damit die Einwanderungspolitik. Aber es gibt noch ganz andere Parallelen zur DDR.
Asylsuchende Menschen haben fast keine Chance, auf dem Landweg legal in die Europäische Union zu gelangen. Das berichtete die EU-Grundrechteagentur FRA in Wien am Montag – einen Tag nach dem Feiern zum 9.11.
Kurz zuvor war bekannt geworden, dass Dutzende Bootsflüchtlinge vor der Küste der Türkei ertrunken sind. Pünktlich zum Jahrestag des Mauerfalls war die Hilfsaktion „Mare Nostrum“ ausgelaufen.
An EU-Grenzen darf wieder gestorben werden
Nun darf an den EU-Grenzen wieder gestorben werden, ohne dass jemand hilft. Natürlich auch im Osten, in den abtrünnigen Gebieten der Ukraine. Die EU hat nichts getan, um die Waffenruhe zu sichern.
Doch es gibt noch andere, hochproblematische Wälle – auch wenn sie weniger offensichtlich sind. Dabei erinnern sie fast noch mehr an die ehemalige DDR.
Da ist zum einen die Totalüberwachung durch die NSA, die die EU widerstandslos hinnimmt. Dabei geht sie nach allem, was wir wissen, weiter, als die Stasi jemals horchen und spähen konnte. Auch der BND macht mit.
Der unsichtbare Wall der Eurokrise
Und da ist zum anderen die unsichtbare Mauer, die Schuldner und Gläubiger in Europa trennt. Seit der Eurokrise lebt halb Europa in Abhängigkeit; wenn der Kredithahn zugedreht wird, ist es Aus.
So ähnlich war es auch vor dem Fall der Mauer in der DDR. Interessanterweise wurde der Kredithahn vom Westen nie abgedreht. Es waren die Bürger der DDR, die nicht mehr mitspielten…
Tim
12. November 2014 @ 12:33
Die Einwanderungs- und generell Bürgerrechtspolitik in Europa ist tatsächlich beschämend. Noch vor 20 Jahren war ich mir vollkommen sicher, daß die EU ein strahlendes Vorbild für die Welt ist (gerade auch im Kontrast zu den USA) und einst einen viel besseren Weltrahmen bilden könnte als etwa die UN.
Und was haben wir heute? Einen zutiefst verunsicherten Club absteigender Staaten, die vor allem und jedem Angst haben, in der Vergangenheit leben und sich sogar vor ihren eigenen Kernwerten fürchten! Man kann nur hoffen, daß diese Zombie-EU bald am Ende ist und frisch neu gestartet werden kann.
Die Schuldenkrise ist natürlich unangenehm, aber dort geht es „nur“ um Geld. Bürgerrechte sind hingegen der Kern unseres Selbstbildes. Ein Jammer, daß wir in Europa hier den USA blind folgen.
Marcel
12. November 2014 @ 11:15
Und wenn wir alle ganz viel Glück haben, dann machen es die Menschen in Europa beim Projekt EU nicht mehr lange mit.
Peter Nemschak
12. November 2014 @ 12:25
Im Gegenteil, jedes Land für sich hat im globalen politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb die schlechteren Karten als die EU als Gesamtes. Solange die Mitgliedsstaaten nicht zu gemeinsamen Positionen finden, werden sie von den Großmächten gegeneinander ausgespielt werden.
winston
12. November 2014 @ 14:26
Der Euro wird genau so scheitern wie schon der Gold Standard, Bretton-Woods, die Südostasiatische Dollarbindung, die Lateinamerikanische Dollarbindung, der EWS I+II gescheitert sind.
Die Euro Eliten werden es aber bis zum äussersten treiben, in diesem Fall ist eine unkontrollierte Euroauflösung sehr Wahrscheinlich.
Die Eurokrise ist irreversibel und kann nur durch eine komplette Euroauflösung gelöst werden.
Die Griechische Regierung hat 1100 Lehrer eingestellt die um sonst Arbeiten. Hoover lässt grüssen.
(Natürlich wird so der Konsum angefeuert), ein Schwachsinn sondergleichen.
Wenn die Linken endlich anfangen die hunderten von Papers über den Euro gründlich zu studieren die rumliegen, z.B bei Ideas.com werden sie ihre Europa Ideologie ablegen und begreifen was der Euro eigentlich ist, nämlich Neoliberalismus in seiner reinsten Form, dessen Ziel es ist den Staat mit seinen sozialen Errungenschaften der letzten 100 Jahre komplett abzuschaffen und durch ein paar wenige Grosskonzernen zu ersetzen. Dann dürfte alles sehr schnell gehen, leider sitzt diese Europa Ideologie bei den Linken sehr tief und geht zurück bis auf Kalegi und Spinelli.
In der EZ nimmt das schon fast Neofeudalische Züge an oder bewegt sich stark in diese Richtung.
Peter Nemschak
12. November 2014 @ 14:50
Ob die Situation ohne den Euro im Lichte der liberalisierten globalen Wirtschaft anders wäre?
Peter Nemschak
12. November 2014 @ 10:09
Unbestritten, dass in Zeiten schwachen Wirtschaftswachstums und sehr geringer Inflation eine Entschuldung von Staaten zäh und schmerzhaft verläuft, was nicht heißen muss, dass sie unmöglich ist. Auch bei den Schuldnerstaaten wird die Entwicklung differenziert verlaufen, Spanien und Irland scheinen hinsichtlich Strukturreformen weiter als Italien und Frankreich zu sein. Auch die Banken kehren langsam zur Normalität zurück. Die Reform zielt in die richtige Richtung, ist aber noch keineswegs abgeschlossen, insbesondere für die 30 größten systemrelevanten Banken der Welt.
ebo
12. November 2014 @ 11:19
Wir brauchen einen Schuldenschnitt und/oder eine Schuldentilgung. Sonst wird uns das Thema noch 50 Jahre beschäftigen – und man muss schon sehr großer Optimist sein, um zu glauben, dass die Menschen aus den Krisenländern so lange die Hilfskredite abstottern werden, ohne zu murren…
Peter Nemschak
12. November 2014 @ 11:46
Für Griechenland, historisch das strukturschwächste Problemland, das vor der Finanzkrise eine massive Scheinblüte erlebte, gebe ich Ihnen recht. Bei den anderen Ländern wird man sehen, ob Strukturreformen imstande sind, eine nachhaltige Verbesserung herbeizuführen. Eine Entschuldung alleine würde nicht nachhaltig wirken, da gesellschaftliche und politische Strukturen und Prozesse unverändert blieben. Das Nord-Südgefälle in Italien, um ein Beispiel zu nennen, hat es seit eh und je gegeben und würde sich durch eine Entschuldung nicht ändern. Der Konkurrenzdruck vornehmlich aus Asien wird in den nächsten Jahren nicht nachlassen sondern stärker werden. Chinesische technisch-wirtschaftliche Eliten sind in ihrer Ausbildung und Denkweise zunehmend amerikanisch geprägt und werden die historisch gewachsene relative Stärke Europas, was den Anspruch auf Ressourcen betrifft, zurückdrängen. Warum sollte die Ungleichverteilung auf der Welt kleiner werden? Warum sollte Europa bei strukturellem status quo von dieser Entwicklung profitieren, selbst wenn die Staatsschuldenquote nur halb so groß wäre wie sie derzeit ist?
HaMuel
12. November 2014 @ 12:31
Ich stelle mir im Zusammenhang mit der Staatsentschuldung immer folgende Frage, da Schulden immer Guthaben gegenüberstehen:
Wessen Guthaben sollen mit der Staatsentschuldung abgebaut werden?
Peter Nemschak
12. November 2014 @ 13:43
…die der Geldvermögensbesitzer, im konkreten Fall der Besitzer von Staatsanleihen oder Sparguthaben; durch Inflation und/oder direkten Schuldennachlass, der in Griechenland teilweise bereits in verschieden Formen geschehen ist. Die derzeit sehr niedrigen Zinsen führen generell zu einer schleichenden Enteignung der Geldvermögensbesitzer und zu einer realen Entschuldung der Schuldner.
ebo
12. November 2014 @ 14:14
Das Gegenteil ist der Fall. Die niedrige Inflation begünstigt die Geldvermögenden und erschwert den Schuldnern die Rückzahlung. Dazu hatte ich auch schon mal einen Beitrag von M. Schieritz: https://lostineu.eu/der-mythos-von-der-enteignung/