Das Merkel-Lager bröckelt

Der neue italienische Premier Letta hat ein Ende der Austeritätspolitik angekündigt. “Sparprogramme allein töten uns”, sagte er in seiner Regierungserklärung. Für Kanzlerin Merkel ist dies ein weiterer Rückschlag. Das Lager ihrer Anhänger bröckelt – ihr letzter echter Fan ist ausgerechnet der britische Premier Cameron.

Jede Woche wird eine andere Sau durchs Berliner Regierungsviertel getrieben. Letzte Woche war es EU-Kommissionschef Barroso – der Portugiese hatte es doch tatsächlich gewagt, an Merkels Spardogma zu rütteln und auf seine Grenzen zu verweisen.

Dann kam Frankreichs Präsident Hollande an die Reihe. Wegen einer sachlich weitgehend korrekten Analyse – Merkel denke nur an die deutsche Leistungsbilanz und die deutschen Sparer – wird er dem Gespött preisgegeben (siehe “Negative Dialektik”).

Heute kommt der nächste Kandidat für den Pranger: der neue italienische Premier Letta. Die bemüht freundliche Begrüßung durch Merkels Sprecher Seibert kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein Besuch in Berlin schwierig wird.

Denn Letta will mit dem deutschen Spar- und Reformdiktat brechen. Er ist sich dabei nicht nur mit ca. 90 Prozent der italienischen Wähler einig, sondern auch mit den Finanzmärkten, die seinen Einstand in Rom  mit einem Kursfeuerwerk feierten.

So langsam stellt sich die Frage, wer eigentlich überhaupt noch zu Merkels Doktrin und ihrem Vollstrecker Schäuble hält. IWF, Weltbank und G-20 sind längst auf Distanz zur deutschen Euro-Strategie gegangen. Auch in der EU sieht es düster aus.

Ich habe ‘mal versucht, die verschiedenen Lager zu umreißen, und bin zu folgendem Ergebnis gekommen:

  • Lager der unbedingten Merkel-Anhänger: EINER, nämlich der britische Premier Cameron – er wurde sogar mit Frau und Kindern in Meseberg empfangen!
  • Lager der offiziellen Merkel-Anhänger, die aber gerne eine andere Politik machen würden: DREI. Dazu gehören Ratspräsident Van Rompuy, EZB-Chef Draghi und Luxemburgs Premier Juncker. Im Dezember hatten sie gemeinsam eine Neuausrichtung der Währungsunion gefordert – Merkel hat ihr Papier in der Luft zerrissen. Seither schmollen die drei und warten auf ihre Revanche (vielleicht nach der Bundestagswahl)?
  • Lager der offiziellen Merkel-Anhänger, die insgeheim bereits eine andere Politik machen: VIER. Dazu gehören der niederländische Premier Rutte, Eurogruppenchef Dijsselbloem,  sowie Finnen und Iren. Besonders pikant die Holländer und die Finnen, die ja immer noch mit Merkel kungeln. Die Holländer haben die EU-Defizitziele gerade lauthals über Bord geworden (siehe “Auf Sand gebaut”), die Finnen suchen neuerdings Venture-Kapital, um den Sparkurs ein wenig zu lindern.
  • Lager der vorsichtigen Merkel-Kritiker: ZWEI – Barroso und Österreichs Feymann. Der Premier aus Wien hat sich gegen EU-Budgetkürzungen und für Eurobonds ausgesprochen, vermeidet aber jede direkte “Konfrontation” mit Berlin.
  • Lager der offenen Merkel-Kritiker: FÜNF. Neben Frankreichs Hollande und Italiens Letta würde ich auch EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) und den belgischen Premier Di Rupo dazu zählen. Di Rupo hat es sogar gewagt, Deutschland wegen des Lohndumpings bei der EU-Kommission anzuschwärzen. Und dann sind da natürlich noch die Zyprer…

Summa summarum steht es immer noch ACHT zu SIEBEN für Merkel, wenn man die Gruppe der Schmeichler und Heuchler mitzählt.

De facto haben sich nach dieser Rechnung aber bereits ELF Chefs von Merkels Sparzielen abgewandt, auch wenn viele nach außen noch so tun, als seien sie auf deutschem Kurs. Halbwegs mitziehen tun nur noch VIER, und der größte Merkel-Fan ist nichtmal im Euro…

Und was ist mit den anderen? Die sind entweder nicht betroffen (die meisten Osteuropäer), ducken sich weg (Griechenland, Spanien, Portugal) oder mogeln sich durch (Schweden und Dänen). Das macht es auch so schwer, ein klares Meinungsbild zu erstellen.

Meine Übersicht ist denn auch nur eine vorläufige Skizze. Sie zeigt aber immerhin zweierlei: Merkel verliert zunehmend Anhänger auch im eigenen Lager – und es geht schon längst nicht mehr um Südeuropa gegen Nordeuropa, wie man uns weismachen will.

Noch einmal: auch Niederländer, Finnen und Iren wenden sich von Merkels Kurs ab. Und sogar einige Präsidenten der großen Institutionen (Kommission, Parlament, EZB) sind schon ganz woanders – zumindest in Gedanken…

P.S. Jetzt habe ich doch glatt Merkels größte Freundin vergessen: Litauens Präsidentin Grybauskaite. Wegen ihrer rigorosen und angeblich überaus erfolgreichen Sparpolitik bekommt sie sogar – so ein Zufall – den Karlspreis. Dazu demnächst mehr… Siehe zu diesem Thema auch meine aktuelle Umfrage!