Die nächste Extrawurst
Was ist eigentlich aus dem Brexit geworden? Beim EU-Krisengipfel in Bratislava spielte der geplante EU-Austritt so gut wie keine Rolle. Dabei gibt es schon eine Blaupause für die Briten – es wäre die nächste Extrawurst.
[dropcap]B[/dropcap]isher spricht alles für einen harten Brexit. Die EU hält an den vier Grundfreiheiten fest, zu denen auch die Arbeitnehmer-Freizügigkeit zählt. Die britische Premierministerin May lehnt das ab.
Es werde “nasty” und “hard,” heißt es denn auch im wöchentlichen Brexit-Briefing des “Guardian”. Großbritannien werde wohl nicht nur die EU, sondern auch gleich den europäischen Binnenmarkt verlassen.
Das jedoch wäre ein Katastrophe für die deutsche Wirtschaft, die mehr denn je von Exporten abhängt, auch auf die Insel. Und so sinnen deutsche Ökonomen und Politiker bereits auf Abhilfe.
Eine erste Blaupause liegt schon auf dem Tisch: Sie wurde vom Brüsseler Thinktank Bruegel vorgelegt, als Autoren zeichnen u.a. der deutsche Ökonom G. Wolff und der CDU-Politiker N. Röttgen.
Sie plädieren dafür, Großbritannien nach einem EU-Austritt vollen Zugang zum Binnenmarkt zu gewähren – notfalls auch ohne uneingeschränkte Freizügigkeit für die Arbeitnehmer.
“Es ist im beiderseitigem Interesse der EU und Großbritanniens, nach dem Brexit den Schaden so gering wie möglich und die Beziehungen so eng wie möglich zu halten”, betont Röttgen.
“Kontinentale Partnerschaft”
Der Plan sieht eine “kontinentale Partnerschaft” vor, der sich auch die Türkei oder die Ukraine anschließen könnten. Im Zentrum steht – natürlich – der Markt, nicht der Arbeitnehmer.
Ähnlich argumentiert der Chef des Ifo-Instituts, C. Fuest. “Es wäre sehr schlecht, wenn Europa darauf bestehen würde”, dass London “bei Begrenzung der Migration keinen Zugang zum Binnenmarkt bekommt,” sagt Fuest.
Seine Begründung: Europa würde als Finanzplatz an Bedeutung verlieren. Dabei hat er wohl die Rechnung ohne die Deutsche Börse gemacht – denn die will ja gerade den London Stock Exchange übernehmen.
Es geht um Konzerninteressen
Die Börse muss sich also um den Brexit keine Sorgen machen. In Wahrheit geht es vor allem darum, UK im Binnenmarkt zu halten, damit deutsche Konzerne weiter gute Geschäfte machen können.
Und dafür ist man nicht nur bereit, May und ihren EU-Gegnern eine weitere Extrawurst zu schenken. Manch einer möchte sogar die EU-Regeln brechen – dabei sind die Deutschland doch angeblich heilig…
Johannes
25. September 2016 @ 18:35
Also wenn die Briten solche Deals bekommen, sollte Deutschland auch SOFORT aussteigen.
Ich hasse zwar mittlerweile die EU, ich liebe eben Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aber die EU verlassen sollte Deutschland eigentlich nicht.
Das ändert sich aber wenn die Briten DAS bekommen, was die sich da ausgedacht haben, dann MUSS Deutschland austreten.
Gott was für Sp…… .
ebo
25. September 2016 @ 18:44
@Johannes Die Idee für diese Extrawurst kommt aus DEUTSCHLAND! Also warum soll Schland dann austreten?
Peter Nemschak
21. September 2016 @ 16:14
@ebo Imperien lassen sich nicht so weiteres per demokratischer Mehrheitsentscheidung planen. Sie entstehen und zerfallen durch Eroberung, internationalen Handel, militärische und/oder wirtschaftliche Macht, keinesfalls aber durch demokratische Mehrheitsentscheidung. Die Imperienbildung, die Ihnen vorschwebt, hat es in den letzten 2000 Jahren auf der ganzen Welt nicht gegeben. H.Münkler hat übrigens zum Thema “Imperien” ein aufschlussreiches Buch geschrieben. Was spricht dagegen, die Zukunft Europas wirtschaftspolitisch in einem größeren Rahmen anzugehen? Auf diesem Gebiet liegt doch die relativ größte Stärke der EU.
Skyjumper
21. September 2016 @ 12:58
Es läuft derzeit genau auf das hinaus, was man als rational denkender Mensch seit dem Ergebnis des britischen Referendums erwarten durfte (nicht unbedingt mußte).
Welche 4 Grundfreiheiten definieren den Binnenmarkt?
a) Freier Personenverkehr
b) freier Warenverkehr
c) freier Dienstleistungsverkehr
d) freier Kapitalverkehr
Jede einzelne davon bedeutet nach Annahme der EU, und es gibt kaum Anlass diese Annahme zu kritisieren, einen Vorteil für alle Beteiligten. Und zwar nicht nur im Verbund, sondern auch für sich genommen. Ausserdem sollte man klar erkennen, dass jede dieser Grundfreiheiten nicht nur einer bestimmten Gruppe zugute kommt, sondern im Prinzip allen Gruppen. Sicherlich mit unterschiedlicher Gewichtung, aber wenn man die Konzerne/Unternehmen betrachtet, dann sind die nicht nur an den Freiheiten b, c, d interessiert, sondern auch am freien Personenverkehr. Umgekehrt haben einfache Bürger nicht nur ein Interesse am freien Personenverkehr, sondern auch an den anderen Grundfreiheiten. Eine Abwägung der Gruppeninteressen ist daher vorliegend wenig hilfreich. Denn am liebsten würden Bürger und Konzerne, Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber, am liebsten alles behalten.
Die Einschränkung/Rücknahme des freien Personenverkehrs ist den Briten nun allerdings so wichtig gewesen dass sie sich dafür sogar entschlossen haben die EU verlassen zu wollen. Soweit zumindest die offizielle Hauptbegründung, im Detail ist es natürlich wesentlich komplexer.
Soweit so schlecht. Die Grundfreiheit des Personenverkehrs, und damit die damit verbundenen Vorteile, wird also zwischen BG und EU abgeschafft.
Aber ist es für irgend jemanden von Vorteil deswegen nun auch die anderen 3 Grundfreiheiten, und damit auch deren Vorteile, gleich mit im Orkus politischer Befindlichkeiten zu entsorgen? Die Drohhaltung “ganz oder gar nicht” gereicht schlicht niemanden zum Vorteil. Im Gegenteil. Würde GB gänzlich vom Binnenmarkt ausgeschlossen hätte das nur Nachteile. Höchstwahrscheinlich hauptsächlich für die Briten, aber eben AUCH für alle anderen. Niemand hat einen Vorteil davon wenn die Briten gänzlich vom Binnenmarkt ausgeschlossen würden.
Und es ist nicht so schwierig das zu erkennen. Und es ist auch nicht so schwierig daraus die richtigen (vorteilhaften) Konsequenzen abzuleiten.
Es ist der große Verdienst der Briten dass sie die Initialzündung dafür gegeben haben die unheilige Kuh Namens EU angestochen zu haben. Meine Hoffnung ist, dass in nächster Zeit jeder schaut wo eigentlich die Vorteile liegen, bzw. was tatsächlich ein Vorteil ist, und wo eine Abwägung von Vor- und Nachteilen vorgenommen werden sollte. Im Ergebnis wird die EU vielleicht wieder auf das beschränkt werden können was sie sein sollte. Ein Konstrukt zum Vorteil der Bürger und Unternehmen. Und das ganze ideologische Krebsgeschwür drum rum, das pseudoreligiöse Geschwafel von Grundwerten, fällt hoffentlich dem Seziermesser zum Opfer.
kaush
21. September 2016 @ 12:12
@ebo
“Es geht um die Aushebelung eines Grundprinzips des EU-Biunnenmarkts und einen Angriff auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, vor allem aus Osteuropa.”
Wenn ich so etwas lese, bekomm ich Pickel.
Man zerstört die Jobs in Ost- u. Südeuropa und dann haben die Arbeitnehmer die tolle Möglichkeit (die s.g. Freizügigkeit), den Jobs nach Deutschland oder sonst wohin hinterher zu Wandern. Man macht sie zu Wanderarbeitern, oder eher zur Wanderhure!
Dann dürfen sie sich z.B. hier billigst im Altersheim, Krankenhaus, am Bau oder im Schlachthof verdingen.
Solche “Errungenschaften” darf man natürlich auf keinen Fall aufs Spiel setzen…
S.B.
21. September 2016 @ 22:05
@kash: Sehe ich ganz genauso. Die Arbeitnehmer-Freizügigkeit ist vielleicht für den kleinen Kreis der Hochqualifizierten ein Vorteil. Für alle anderen Arbeitnehmer ist sie ein großer Nachteil und zwar in den Abwanderungs- wie in den Zuwanderungsländern.
Nur für die Arbeitgeber ist sie in jeder Hinsicht ein Vorteil.
Die Arbeitnehmer-Freizügigkeit ist deshalb ganz klar eine echte neoliberale Grundfreiheit. Da sie auch ein “europäischer Grundwert” ist, sollte die Einordnung der EU als neoliberales Projekt – auch mit Blick auf die drei verbleibenden von @skyjumper unten genannten Grundfreiheiten – nicht schwerfallen.
Freiberufler
21. September 2016 @ 11:40
Die Briten sagen “no”. Die EU packt die Folterwerkzeuge aus und will die Briten in einem Gipfelmarathon weich kochen. Nach dem Gipfel gibt die EU nach und die Briten bekommen, was sie wollen.
So läuft es seit VIERZIG Jahren. Wirklich faszinierend.
Peter Nemschak
21. September 2016 @ 10:13
Deutsche Konzerne (ein Feindbild kurzsichtiger Politiker und Journalisten vom politischen Rand!) sind als Arbeitgeber für nicht nur in Deutschland Lebende ein wichtiger Motor des globalen Wohlstands, sowie Apple in Wahrheit kein heimatloser multinationaler sondern ein US-amerikanischer Konzern mit global gestreuten Wertschöpfungsketten ist. Selbst Konzernführer multinationaler Unternehmen können der Versuchung nicht widerstehen nationalistisch zu denken. Sonst würde ein Konzernspitzenfunktionär nicht behaupten, dass die unbezahlten Steuern von Apple dem amerikanischen Staat und nicht den Mitgliedsstaaten der EU gehören. Alles riecht derzeit nach Nationalismus und Protektionismus, in der EU ebenso wie in den USA, Russland und China. Den benachteiligten Bürgern unserer Welt wäre besser gedient, die Vorteile der Globalisierung, die hunderte Millionen von Menschen aus bitterster Armut befreit hat, nicht aufzugeben. Es gibt andere Wege, die Ungleichheit auf der Welt zu verringern als den Weg zurück in den Protektionismus und Nationalismus der 1930-iger Jahre. Linker Klassenkampf gehört jedenfalls nicht dazu. Statt die Früchte gerechter zu verteilen, sind wir dabei den Obstgarten zu roden. Um ihre Macht zu erhalten, werden sich, so steht zu befürchten, die herrschenden Eliten die populistischen Forderungskataloge zu eigen machen statt die Freiheit zu verteidigen, auf der unser Wohlstand beruht. Politische Weitsicht ist rarer den je; wenn es sie überhaupt je gegeben hat.
ebo
21. September 2016 @ 10:24
@Nemschak Sie reden am Thema vorbei. Es geht um britischen Populismus und Protektionismus, dem deutsche Ökonomen auch noch das Wort reden. Es geht um die Aushebelung eines Grundprinzips des EU-Biunnenmarkts und einen Angriff auf die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, vor allem aus Osteuropa.
Peter Nemschak
21. September 2016 @ 11:08
Es ist eine Frage der Prioritäten, was langfristig wichtiger ist. Die strukturelle Einbindung der Ukraine und der Türkei sowie Großbritanniens ist gegen den Nachteil der eingeschränkten Personenfreizügigkeit bei gleichzeitig (weitgehendem) Zugang zum Binnenmarkt abzuwägen. Als kurzfristige Folge würden mehr Osteuropäer nach Deutschland und andere prosperierende Staaten der EU kommen. Beabsichtigte und unbeabsichtigte Nebenwirkungen politischer Entscheidungen gibt es immer. Im Unterschied zu Ihnen habe ich mich von der Idee eines europäischen Bundesstaates verabschiedet. Vertiefte Integration lässt sich nicht erzwingen. Das bedeutet nicht, dass die EU deshalb zerfallen muss. Man muss nicht unbedingt dogmatisch mit dem Kopf durch die Wand. Nichts ist alternativlos. Was die bessere Alternative gewesen wäre, darüber werden sich – wie immer in der Geschichte – unsere Nachkommen streiten.
ebo
21. September 2016 @ 11:45
Natürlich spielen geopolitische Erwägungen eine Rolle. Sie sind sogar sehr wichtig. Dann soll man das aber nicht wirtschaftspoltiisch verbrämen sondern klipp und klar sagen, dass die EU ein neues Imperium werden soll und dafür leider die Freizügigkeit opfern muss.