Die Masken fallen

Frankreich schwenkt auf eine sozialliberale angebotsorientierte Politik ein. Brüssel und Berlin begrüssen dies – und fordern gleich harte Einschnitte. Der Vorgang sagt viel über die wahre Natur der Währungsunion. 

So geht es einem Land, das sich dem neoliberalen Mainstream verweigert. Erst wurde Frankreichs neuer sozialistischer Präsident Hollande geschnitten, Kanzlerin Merkel ignorierte ihn nach Kräften.

Dann wurde er gemobbt. Frankreich sei der „neue kranke Mann“ Europas, hieß es in Berlin und London. Auch Frankfurt und Brüssel stimmten ein, obwohl die letzten Konjunkturdaten gar nicht schlecht sind.

Nun hat Hollande das getan, was sein Vorbild Mitterand in den 80er Jahren vormachte: Er hat sein sozialistisches Wahlprogramm über Bord geworfen und ist auf eine sozialliberale Angebotspolitik geschwenkt.

Das birgt große Risiken. Denn die französische Wirtschaft wird – anders als die deutsche – vor allem von Binnennachfrage und (Auslands)-Investitionen getragen. Zuletzt ist sie anständig gewachsen.

Eine Agendapolitik à la Schröder könnte nicht nur die Konjunktur abwürgen, sondern auch die Franzosen gegen Hollande aufbringen. Schon jetzt steht er mit dem Rücken zur Wand. Er braucht schnelle Erfolge.

Doch in Brüssel und Berlin sieht man nur das eine: dass Hollande auf den neoliberalen EU-Konsens einschwenkt. Prompt hagelte es Glückwünsche, SPD-Außenminister Steinmeier würdigte sogar Hollandes „Mut“.

Doch dabei wird es nicht bleiben. Die Agendapolitiker wollen mehr, viel mehr. Schon hat die EU-Kommission gefordert, Frankreich müsse nun beherzt die Ausgaben kürzen und die Sozialleistungen eindampfen.

Man sei von vorneherein der Meinung gewesen, dass eine Kürzung der Staatsausgaben besser sei als eine Anhebung der Steuern, so der Sprecher von Währungskommissar Rehn.

Von Reichensteuern hält man in Brüssel nämlich gar nichts. Auch mehr Steuergerechtigkeit ist in Zeiten der Krise nicht opportun – „kill the poor“, heißt nun auch in Frankreich die Devise.

Dass Frankreich weder Lohndumping wie Deutschland betrieb noch „über seine Verhältnisse“ lebte wie Griechenland, sondern Lohn- und Preisentwicklung moderat gestaltete, interessiert keinen mehr.

Es zählt nur, dass es nun auch „endlich“ in das „Rattenrennen“ einsteigt, das Ex-Kanzler Schröder in Deutschland mit seiner Agenda 2010 begonnen und Merkel mit dem Fiskalpakt fortgesetzt hat.

So fallen die Masken: In der Berlin outet sich die SPD als Immer-noch-Agenda-besessen, in Brüssel offenbart die Kommission das neoliberale Dogma in Reinkultur.

Und in Paris präsentiert sich Hollande als „vollwertiger“ Sarkozy-Nachfolger. Der Sozialist muss jetzt das versuchen, woran der Gaullist (und Merkel-Vertraute) gescheitert war…