Die 545-Euro-Lüge
Bis zu 545 Euro im Jahr könnte jeder EU-Haushalt durch Freihandel mit den USA gewinnen. Das behauptet die EU-Kommission. Doch wie sie auf diese  Zahl kommt ist ebenso unklar wie das Mandat, mit dem sie in die Verhandlungen geht. Das soll nämlich geheim bleiben – wieder mal.
Die grünen Europaabgeordneten sind sauer. Die EU und die USA hätten seit der Ablehnung des ACTA-Abkommens offenbar nichts dazugelernt, kritisierte die grüne Europaabgeordnete S. Keller.
Der „Gipfel der Intransparenz“ sei, dass nicht einmal alle Parlamentarier Zugang zum geheimen Verhandlungsmandat erhalten, sagte sie nach dem grünen Licht der EU-Staaten für die Freihandelsrunde.
Von einem Fehlstart sprach auch R. Bütikofer, der für die Grünen in der US-Delegation des Europaparlaments sitzt. “Ohne Transparenz können wir nicht die notwendigen roten Linien durchsetzen“, warnte er.
Wohl wahr. Nicht nur der Datenschutz steht auf dem Spiel (siehe “Schutz war gestern”). Es geht auch um den Verbraucherschutz, das Urheberrecht (wie bei ACTA), die Daseinsvorsorge, die öffentliche Beschaffung  und vieles mehr.
Doch die EU-Kommission, die das Verhandlungsmandat ausgearbeitet hat, will nicht für Waffengleichheit sorgen. Obwohl das Mandat bereits mehrfach geleakt wurde, zuletzt hier, beharrt sie auf Geheimniskrämerei:
The negotiating mandate for the Transatlantic Trade and Investment Partnership negotiations remains a restricted document, which is necessary to protect EU interests and to keep chances for a satisfactory outcome high. When entering into a game, no-one starts by revealing his entire strategy to his counterpart from the outset: this is also the case for the EU. However, the European Commission is very responsive to the need to make the negotiating process as transparent as possible for European citizens.
Dieses Zitat von der Webseite der Kommission zeigt sehr gut, wie man in Brüssel denkt. Die EU-Behörde präsentiert sich als Verteidigerin der Interessen Europas, weigert sich aber, die Bürger aufzuklären.
Wer seine Strategie nicht offenlegt, kann aber auch nicht auf Unterstützung der Betroffenen hoffen. Außerdem führt er damit seine eigenen Berechnungen vom “Nutzen” des Freihandels ad absurdum.
Die 545 Euro kann man ja nur überprüfen, wenn man weiß, welche Branchen wie weit geöffnet werden sollen – und wer davon den größten Nutzen hätte, die Amerikaner oder die Europäer.
Ich fürchte, dass vor allem die großen US-Konzerne profitieren werden – und dass die Gewinne, die nach Europa fließen, bei den Bürgern nicht ankommen. In Deutschland kennen wir das ja schon…
Andres Müller
17. Juni 2013 @ 20:26
Die Gewinne werden alle wie bisher in die Taschen unserer Eliten fliessen. Es ist geradezu zynisch den zusätzlichen BIP auf alle EU -Haushalte hochzurechnen, wenn z.B. nachweislich die Reallöhne im Export starken Deutschland trotz höherem BIP seit Jahren gerade wegen dieser Export-Ausrichtung stagnieren. Stattdessen ist anzunehmen dass sich auch die Tendenz zur Ungleichheit mit dem Freihandel weiter aufbaut, Niedriglohn- Jobs und Lohndumping weiter zunehmen.
alex
17. Juni 2013 @ 19:18
@ebo
Die Prognosefehler der Europäischen Kommission sind seit Jahren haarsträubend und regelmäßig falsch. Auch das Zitat der Kommission aus deinem Komentar (BIP Zuwachs im Jahre 2008 um 2,13% höher) ist wohl hinfällig, wenn man sich die Entwicklung eben bis 2013 ansieht. Denn “seit 2008 ist die Zahl der Arbeitslosen um 10,5 Millionen gestiegen, die Arbeitslosenquote um 4 Prozentpunkte auf 11% der Erwerbspersonen hochgeschnellt; die Staatschulden haben sich um mehr als 3000 Milliarden Euro erhöht, die Staatsschuldenquote um 28 Prozentpunkte auf 90% des BIP; das Bruttoinlandsprodukt liegt somit 2013 real um 1% unter dem Niveau von 2007, während es bei „normalem“ Konjunkturverlauf um 12% darüber liegen hätte können.
Fast alles ist schief gegangen, die makroökonomische Politik der Europäischen Union ist gescheitert”. Und nun macht die Kommission fröhlich so weiter, als würde ihnen die Resultate der Vergangenheit Recht geben. Ideologische Verblendung gepaart mit unbelehrbarer Arroganz.
Johannes
17. Juni 2013 @ 16:42
Ja, Europa eben, was will man von Brüssel auch anderen erwarten. Das der Euro Wohlstand geschaffen hat, kann auch keiner beweisen und dennoch wird der Spruch immer und immer wieder vorgebracht. Europa hat es eben nicht so mit der Wahrheit. Schöner Bericht auch von ATTAC wer von der Eurorettung profitiert und wer die Verlierer sind 😉
ebo
17. Juni 2013 @ 11:21
@GS
Korrekt. Nach Angaben der EU-Kommission war das BIP 2008 um 2,13 Prozent oder 233 Mrd. Euro höher, als es ohne Einführung des Binnenmarkts gewesen wäre Umgerechnet auf die EU-Bürger entspricht dies einer Einkommenserhöhung von 500 Euro pro Kopf. Diesmal hat man wohl noch die Inflation draufgeschlagen 🙂
GS
17. Juni 2013 @ 10:55
Sicher hat man bspw. bei der Bildung des europäischen Binnenmarktes ähnlich argumentiert. Ob er einen Wohlstandseffekt hat, kann bis heute keiner plausibel erläutern.
Arnould
17. Juni 2013 @ 10:27
Sicher nicht 545 Euro für Jeder, sondern 54.500 Euro für 1%. Deshalb wird es zu Ende gehen.
Andres Müller
18. Juni 2013 @ 15:52
“sondern 54.500 Euro für 1%”
Ja, sowohl finanzielle als auch machtpolitische Umverteilung nach oben wird in diesem propagandistischen Bertelsmann- Bericht des IFO -Professors Gabriel Felbermayr mit Anhang Dr. Ulrich Schoof und Dr. Thieß Petersen aberkannt. Die Ökonomen stellen gar die Behauptung auf “Generell lässt sich feststellen, dass dieses Abkommen die Einkommensunterschiede innerhalb der EU nicht vertieft.”
Mit Wissenschaft hat dieser Bericht wenig am Hut, die “Nachdenkseiten” sprechen gar von Scharlatanerie http://www.nachdenkseiten.de/?p=17671#more-17671
Aus meiner Sicht werden da nur Handelsströme profitabel für die Eliten umgelenkt, Netto ergibt sich über alle Wirtschaften eine Null. Da Regulierung im Sozialbereich nicht zu erkennen ist, liegt der Nutzen dort wo Niedriglöhne bestehen oder entstehen und der Schaden dort wo die Menschen gut für Arbeit bezahlt werden. Ebenso dürften Grosskonzerne davon profitieren, da sie ihre Produktion ohne Nachteil dorthin verlagern können wo niedrige Steuern bezahlt werden müssen. Total über alles gesehen ist Sozialdumping angesagt.
der eigentliche Grund für die Hektik dürfte machtpolitische Ursachen haben, die Festigung der von Finanz-Konzernen dominierten Strukturen des Westens und die Schwächung der demokratischen Nationen, zugunsten neoliberaler transatlantischer “Denkfabriken”. Die Bürger werden elegant um ihre Mitspracherechte in Wirtschaftsfragen gebracht, indem Entscheidungen vermehrt in transnationalen Podien gefällt werden müssen, in welchen keine gewählten oder wählbaren Exponenten einsitzen.