Die Einflüsterer
Wie konnte es zu dem deutsch-türkischen Coup beim letzten EU-Gipfel kommen? Die „Nachdenkseiten“ sind dem nachgegangen und auf einen dubiosen „Merkel-Plan“ gestoßen. War alles nur Show?
Von Jens Berger
[dropcap]D[/dropcap]er „Merkel Plan“ wurde am 4. Oktober 2015 von der European Stability Initiative (ESI) fertiggestellt. Seine Kernpunkte sind:
- Deutschland bietet in den nächsten 12 Monaten 500.000 syrischen Flüchtlingen, die in türkischen Lagern registriert sind, offiziell Asyl an und transportiert diese Flüchtlinge auf geordneten Wegen nach Deutschland.
- Im Gegenzug nimmt die Türkei sämtliche Flüchtlinge auf bzw. zurück, die Griechenland über die Ägäis erreichen.
- Deutschland kompensiert das türkische Entgegenkommen durch Finanzhilfen und politische Unterstützung bei der Erlangung der EU-Visafreiheit im Jahr 2016.
Aufmerksame Leser werden bereits erkennen, dass diese Kernpunkte nahezu komplett dem Vorstoß entsprechen, den der türkische Premier Davutoğlu der EU „überraschend“ am Wochenende vorlegte. Nur ein einziger elementarer Unterschied besteht zwischen dem „Merkel Plan“ und dem türkischen „1-für-1-Plan“: Im „Merkel Plan“ geht es ausschließlich um Deutschland. Die Autoren der ESI gehen in der Begründung bereits davon aus, dass es ohnehin keine EU-Lösung für die Verteilung der Flüchtlinge geben wird. Daher fordert der Bericht Deutschland auf, voran zu gehen und dann freiwillige Verbündete zu finden, die sich mit freiwilligen Kontingenten an der Aufnahme beteiligen. Die Balkanroute sollte übrigens mit diesem Plan nie geschlossen werden. Die Autoren beabsichtigen lediglich, den Druck herauszunehmen und die Migrationsströme über die Ägäis zu begrenzen.
Der Verdienst, den „Merkel Plan“ auf europäische Ebene zu hieven, gebührt übrigens auch nicht der türkischen Regierung, sondern dem Führungsgespann der Großen Koalition in den Niederlanden – Mark Rutte und Diederick Samsom. Der „Plan Samsom“ baut 1:1 auf dem „Merkel Plan“ auf – kein Wunder, wurde er doch sowohl mit der ESI als auch mit der deutschen Regierung abgestimmt. Neu beim „Plan Samsom“ ist, dass er die Rolle des Aufnahmelandes, die ursprünglich nur für Deutschland vorgesehen war, nun auf Deutschland plus X festlegt, die Verhandlungen mit der Türkei auf die europäische Ebene hievt, aber gleichzeitig auch feststellt, dass die „Aufnahme von Flüchtlingen“ für die übrigen EU-Staaten „nicht verpflichtend“ ist. Als potentielle Partner Deutschlands – hier spricht man übrigens reichlich geschichtsvergessen von einer „Koalition der Willigen“ – bringen die Niederländer dabei Schweden, Österreich, Frankreich, Italien, Portugal und natürlich sich selbst ins Spiel. Dass die krisengeschüttelten Südeuropäer nicht einmal im Traum daran denken, freiwillig zusätzliche Kontingente aufzunehmen, ist bekannt. Frankreich hat Diederick Samsom offenbar auch bereits die kalte Schulter gezeigt und die österreichische Regierung hat in den letzten Monaten ebenfalls fluchtartig das deutsche Lager verlassen. Übrig bleiben also Schweden und die Niederlande … und in diesem Kontext passt der Begriff „Koalition der Willigen“ dann doch wieder. Bezeichnenderweise sind dies auch exakt die Länder, die aktuell als Aufnahmeländer im Fokus der Migrationswelle stehen.
Was hier passiert ist, ist im Grunde, dass die Türkei Frau Merkel und dem niederländischen Premierminister Rutte den „Merkel Plan“ präsentiert hat. Also das, was Frau Merkel selbst seit einigen Monaten vorschlägt.
Gerald Knaus, Vorsitzender der ESI im Interview mit dem SRF (ab 14:30)
Warum richtet sich dann aber der „1-für-1-Plan“ von Davutoğlu, der ihm – das sollte eigentlich nun feststehen – vor dem Gipfel von den Deutschen und den Niederländern in die Tasche geschoben wurde, an die gesamte EU? Auch Viktor Orbán, François Hollande und David Cameron können sich den „Merkel Plan“ im Internet anschauen und kennen natürlich auch den „Plan Samsom“. Warum bringt man einen gesamteuropäischen Rahmen ins Spiel, wenn die Autoren der Vorlage, also die ESI und das Duo Rutte/Samsom, selbst die Perspektive ausschließen, ihren Plan auf EU-Ebene zu implementieren? Die Antwort kann eigentlich nur lauten: Angela Merkel will sich kurz vor den Landtagswahlen noch ein wenig Zeit kaufen. Der große Gipfel war demnach eine reine Showveranstaltung. Was letzten Endes bilateral zwischen Deutschland und der Türkei beschlossen wird, dürfte in Grundzügen wahrscheinlich schon feststehen und dem „Merkel Plan“ entsprechen. Ob Angela Merkel dies politisch überlebt, ist eine andere Frage.
Eine weitere Frage, die man an dieser Stelle behandeln muss, ist die Frage, warum eine gewählte Regierung sich von einem ganz offensichtlich Partikularinteressen unterworfenen Think Tank derart weitreichende Konzepte schreiben lässt. Der „Merkel Plan“ heißt ja nicht umsonst so. Daher muss man hier Fragen stellen:
- Wer hat den Plan beauftragt?
- Wer hat das ESI für diese Arbeit bezahlt? Ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, dass eine Interessenkollision vorliegt, wenn sie sich Konzepte von einem Think Tank erarbeiten lässt, das auch von amerikanischen Interessengruppen finanziert wird?
- Meint die Bundesregierung, dass es der demokratischen Praxis entspricht, bei derartig weitreichenden Weichenstellungen nicht nur den Bundestag, sondern auch die deutsche Öffentlichkeit an der Nase herumzuführen?
Und natürlich darf hier auch die obligatorische Frage nicht fehlen: Warum liest, hört und sieht man davon nichts in unseren Qualitätsmedien?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf den Nachdenkseiten. Das Original steht hier
winston
11. März 2016 @ 13:25
Falscher Link:
http://www.spiegel.de/fotostrecke/tuerkei-erdogan-laesst-mega-bauten-errichten-fotostrecke-115328.html
winston
11. März 2016 @ 13:21
Erdogan wird mit dem Geld vermutlich seine Grossprojekte finanzieren.
http://www.spiegel.de/reise/fernweh/wellness-im-flughafen-ruhe-und-entspannung-bei-zwischenstopps-a-989676.html
Südeuropa stülpt man dafür völlig abstruse, kontraproduktive und knallharte Austerität über. Toll.
Was ist das nur für ein Irrenverein. Manchmal fragt man sich wirklich ob diese Wirrköpfe in Brüssel auf dem Mond wohnen.
vercingetorix
11. März 2016 @ 09:02
Man darf sich doch wohl fragen dürfen, wie es denn zu einer Entlastung Deutschlands und Europas kommen soll, wenn für jeden in die Türkei Zurückgewiesenen, ein in der Türkei sich Befindender nach Deutschland und Europa geflogen wird?
Und dass die Türkei dafür auch noch horrende Forderungen stellt, wie dei Visafreiheit für ihre Bürger, Aufnahme in die EU, und Milliarden €,Millarden €, Milliarden € ist doch wohl die Höhe.
Wer sagte noch gleich: “ denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht…?“ Niemals, nach 1945, war das treffender als heute!
kaush
11. März 2016 @ 08:56
„Und natürlich darf hier auch die obligatorische Frage nicht fehlen: Warum liest, hört und sieht man davon nichts in unseren Qualitätsmedien?“
Weil die gleichen amerikanischen Einflüsterer auch in den Chefredaktionen der Erziehungsmedien ihr Werk verrichten:
„Der Politikchef der „Zeit“ bestätigt das „ journalistische Eingebettetsein“ von Journalisten in „amerikanische Denkart der Außenpolitik““
…Dann kommt Ulrich auf die entsprechenden Organisationen und Konferenzen wie die Atlantik-Brücke und die Bilderberg-Konferenz zu sprechen und schreibt: „Diese Veranstaltungen, von denen nicht berichtet werden darf, haben einen bestimmten Zweck – in der Regel: offiziell die Stärkung der transatlantischen Zusammenarbeit. De facto sind sie auch ein Transmissionsriemen für die amerikanische Denkart in der Außenpolitik, für die je angesagte Politik Washingtons. In diesen Netzwerken wurde in den Jahren der Mittelost-Kriege eine Politik vordiskutiert und rationalisiert, die aus heutiger Sicht als stellenweise durchgeknallt bezeichnet werden muss.
„Durch dieses journalistische Eingebettetsein hat die außenpolitische Debatte hierzulande zuweilen einen merkwürdigen amerikanischen Akzent, oft gewinnt man beim Lesen den Eindruck, als würde einem in Leitartikeln etwas beigebogen, als gäbe es Argumente hinter den Argumenten, fast glaubt man, eine Souffleur-Stimme zu hören. Das spüren auch jene, die von der Atlantik-Brücke gar nichts wissen, und das macht sie misstrauisch. Insofern sind auch die Journalisten in der Bringschuld, wenn es um einen neuen realistischen und ehrlichen Diskurs in der Außenpolitik geht und darum, Leservertrauen zurückzugewinnen: Sie müssen sich aus diesen Institutionen verabschieden.“
Soweit der Politikchef und stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“…“
http://www.nachdenkseiten.de/?p=28997
vercingetorix
10. März 2016 @ 16:42
Deutschland soll noch einmal eine halbe Million Flüchtlinge aufnehmen? Na dann, viel
Spass damit!
Ich muss schon sagen, dass Deutschland nach diesem Plan sehr wenig bekommt und die Türkei sehr viel.
Wenn alles korrekt zugehen würde, und zwar nach internationalem Recht, dann müsste die Türkei sowieso alle illegalen Flüchtlinge die von der Türkei übers Meer nach Griechenland wollen, (oder übers Land nach Bulgarien), davon abhalten oder zurücknehmen! Und zwar ganz ohne Verträge, Milliarden, oder Absprachen!
Ich hoffe, dass weder in Deutschland noch in der EU dieser Plan zurückbehalten wird, denn er bedeutet für die Menschen in Deutschland und Europa eine Katastrophe!
Wenn das alles ist was Merkel und Co zustandebringen können, dann ist es ein Armutszeugnis!
S.B.
10. März 2016 @ 15:22
„Eine weitere Frage, die man an dieser Stelle behandeln muss, ist die Frage, warum eine gewählte Regierung sich von einem ganz offensichtlich Partikularinteressen unterworfenen Think Tank derart weitreichende Konzepte schreiben lässt. Der „Merkel Plan“ heißt ja nicht umsonst so.“
Das ist die wichtigste Frage!!! Dieser Sachverhalt ist ein weiterer Beweis, dass D und die von ihm dominierte EU hündische US-Vasallen sind. Merkel vorne weg! Die Bezeichnung „Merkel-Plan“ ist ein Propagandatrick. Sie soll die Fremdsteuerung von Merkel durch Washington in der Öffentlichkeit verschleiern. Es ist einfach unglaublich, was hier passiert. Hochverrat ist noch eine Verniedlichung.
GS
10. März 2016 @ 14:17
Aus Wikipedia: „The ESI is among others financed by governments and foundations from Scandinavia and Ireland, the Rockefeller Foundation, the Robert Bosch Stiftung and the German Marshall Fund.“
ebo
10. März 2016 @ 14:52
Passt doch 😉