Die 20-Prozent-Währungsunion
Offiziell ist die Währungspolitik in der Eurozone zu 100 Prozent vergemeinschaftet. Doch die Europäische Zentralbank hat eine neue Zahl in die Welt gesetzt.
Beim neuen milliardenschweren Anleihen-Kaufprogramm haftet die EZB nur zu 20 Prozent. 80 Prozent sollen von den nationalen Notenbanken geschultert werden.
Dies geht natürlich vor allem auf Widerstand aus Deutschland zurück. Die Bundesbank darf das Gros der Anleihenkäufe tätigen; das Risiko für Berlin tendiert gegen Null.
Dennoch spricht die AfD von Eurobonds durch die Hintertür. Umgekehrt freut sich die EU-Kommission, dass man schon zu 20 Prozent einen Bundesstaat errichtet habe.
Ich würde sagen: wir stecken zwischen Baum und Borke. EZB-Chef Draghi hat mit Rücksicht auf Kanzlerin Merkel eine Schrumpf-Union etabliert – doch das deutsche Europa ist stärker.
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Tim
23. Januar 2015 @ 10:40
Naja, “Haftung”, was soll das bei einer Zentralbank schon bedeuten. Eine Zentralbank ist selbst bei niemandem verschuldet. Daher “haften” auch nicht die nationalen Zentralbanken mit 80 % und die EZB nicht mit 20 %. Diese Nebelkerze der EZB-Hasardeure sollte man ganz schnell vergessen. Ob die neuen Euros zu 0 oder zu 100 % bei der EZB geschaffen werden, spielt für die Finanzeffekte überhaupt keine Rolle. Die 20%-Regel war einfach nur eine politische Idee, um den Unsinn durchdrücken zu können.
Die einzigen, die hier wirklich haften, sind kurzfristig die Besitzer von Sichteinlagen oder Tagesgeldkonten, die Realverluste erleiden, sowie mittelfristig Arbeitnehmer, deren Arbeitsplätze zunehmend außerhalb der Euro-Zone entstehen werden.
GS
23. Januar 2015 @ 12:56
ebo, man kann das auch anders deuten. Nämlich als offiziellen Einstieg in die Gemeinschaftshaftung. Was bisher ein Tabu war, ist jetzt da. Und es ist wesentlich einfacher, an den Prozentsätzen zu spielen als so ein System erst einmal einzuführen. Insofern ist das schon ein Durchbruch. Ich muss wahrscheinlich nicht dazusagen, dass ich das für katastrophal halte.
Abgesehen davon: Tim hat Recht. De facto beträgt die Gemeinschaftshaftung auch jetzt schon 100 %. Im Zweifelsfall (Zahlungsausfall) ist es unerheblich, ob die Anleihen bei der EZB oder bei den nationalen Notenbanken liegen. Selbst Schieritz von der Zeit sieht das so. Es ist eigentlich unglaublich, dass wieder alle für dermaßen blöd verkauft werden.
ebo
23. Januar 2015 @ 14:01
@GS
Klar, das kann man so sehen. Man kann aber auch erwägen, dass das Risiko einer Staatspleite ohne QE höher liegt als mit. Die Schuldenlast ist nun nämlich leichter tragbar, die Zinslast sinkt. Sinnvoller wäre natürlich ein Schuldentilgungsfonds, nicht nur für Griechenland, sondern für alle (auch Deutschland liegt zu hoch). Rate mal, wer dagegen ist?
Tim
23. Januar 2015 @ 14:46
@ ebo
Schuldentilgungsfond … Die Idee stammt von Harry Potter, richtig? 🙂
ebo
23. Januar 2015 @ 15:04
Nö, vom deutschen Sachverständigenrat.
Und nun rate mal, von wem dieses Zitat ist:
“Die begrenzte Risikoteilung setzt ein falsches Signal. Denn dies stellt die Erwartung in Frage, dass die EZB genügend politische Unterstützung hat, um alles zu tun, falls es zur Stabilisierung des Euro nötig sein sollte.”
Tim
23. Januar 2015 @ 15:42
@ ebo
Keine Ahnung, von dem das Zitat ist. Die Euro-Stabilität ist aber auch gar nicht das zentrale Problem. Das Problem ist, daß niemand in den Problemstaaten investiert und die Zukunftsaussichten mit jedem Jahr schlechter werden.
Solange der Euro von allen als sakrosanktes und in erster Linie politisches Projekt gesehen wird, wird sich daran wohl auch nichts mehr ändern.
GS
24. Januar 2015 @ 14:58
@ebo
Persönlich denke ich, dass ganz Europa, der ganze Westen früher oder später einen großen Schuldenschnitt erleben wird. Es sei denn, es gelingt irgendwann auf wundersame Art und Weise, aus einem zusätzlichen Euro Schulden mehr als einen zusätzlichen Euro Wirtschaftsleistung zu generieren. Ich sehe allerdings nicht, wie das erreicht werden soll. Was die Notenbanken machen, ist Insolvenzverschleppung. Auf Euro-QE1 wird QE2 folgen, die Amerikaner werden ihre Ankündigung zurücknehmen, die Geldpolitik zu straffen, usw. Letztendlich sind das aber alles nur technische Maßnahmen, um den Laden am Laufen zu halten. Die zugrunde liegenden Probleme kann man so nicht lösen. Die Tragik der Eurozone ist dabei, dass Länder, deren Schuldenschnitt noch ne ganze Weile in der Zukunft liegt (z.B. Deutschland) schon heute in den Schlamassel reingezogen werden, während heute insolvente Länder (z.B. Griechenland) es wahrscheinlich mit eigener Währung auch noch gar nicht insolvent wären.
Peter Nemschak
24. Januar 2015 @ 10:51
Es ist jedenfalls ein weiterer Schritt – zusätzlich zur klassischen Zinspolitik – zur Vergemeinschaftung der Geldpolitik. Das Thema Geldwertstabilität kommt damit immer weiter vom nationalen in den europäischen Diskurs, die Grenzen von geld- und Fiskalpolitik verschwimmen zusehends, nationale Souveränität wird zunehmend an eine supranationale Institution abgegeben. Ob das wünschenswert ist, muss jeder für sich entscheiden. Damit demokratische Prozesse nicht zurückbleiben, wäre es an der Zeit, echte europäische Parteien zu gründen, solche mit einer europäischen Agenda. Diese müssten sich im Wettbewerb gegen die nationalen Schwesterparteien bewähren und durchsetzen.
Peter Nemschak
23. Januar 2015 @ 08:16
Solange es keine echten, d.h multinationale, europäische Parteien – ich meine nicht die Mitglieder des EU Parlaments, die auf einer nationalen Agenda gewählt wurden – gibt, bleibt das Bekenntnis zum europäischen Bundesstaat ein Minderheitenprogramm. Die nationalen Parteien haben allerdings wenig Anreiz europäische Parteien zuzulassen. Hier gilt nach wie vor: lieber Erster in einem gallischen Dorf als Zweiter in Rom zu sein.
Michael
24. Januar 2015 @ 09:59
Niemand ist daran gehindert, eine echte, multinationale, europäische Partei zu gründen und in allen EU-Mitgliedstaaten zur Wahl anzumelden. Ob sie gewählt würde, ist allerdings eine andere Frage.
Allerdings bedeutet die Freiheit, Parteien zu gründen, auch das Recht für diese, sich jeweils auf einzelne Staaten zu beschränken. In Deutschland zum Beispiel existieren nebeneinander CDU und CSU, aber beide decken jeweils nur bestimmte Bundesländer ab; und niemand wird behaupten können, dieses Nebeneinander gefährde die Existenz des deutschen Staates.
Die Vorstellung, man könne ein europäisches Bewusstsein schaffen, indem man die Parteien zwingt, sich EU-weit zu organisieren, wird manchmal geäußert; sie wäre allerdings eine starke Einschränkung der Freiheit, sich selbst zu organisieren, und wie gesagt – die Vorstellung von einer Einheit ist, wo sie existiert, wie in Deutschland, auf solche Parteien gar nicht angewiesen. Auch nur in einzelnen Staaten kann eine Partei mit einem Bekenntnis zu einem europäischen Bundesstaat antreten und gewinnen oder verlieren.