“Deutschland soll führen”, sagt Berlin
Seit dem Brexit wächst in EUropa die Sorge, Deutschland könne übermächtig werden. Nun kommt eine klare Ansage von N. Röttgen, Chefs des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag: Berlin müsse führen.
“Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir eine klare Führungsrolle in der EU haben. Unser Interesse ist es, dafür zu sorgen, dass Europa funktioniert”, sagte Röttgen im phoenix-Interview.
Das klingt sympathisch, nicht so prahlerisch wie einst bei V. Kauder (“In Europa wird jetzt deutsch gesprochen”). Aber es ist falsch, oder sagen wir vornehmer: kontrafaktisch.
Denn Europa funktioniert nicht. Die EU ist paralysiert – nicht nur durch den Brexit, sondern auch bei CETA, TTIP, Glyphosat etc pp. Und zwar oft wegen Deutschland, denn Berlin hat keine klare Position.
Auch mit dem führen und zusammenhalten ist das so eine Sache. Nicht nur der britische Premier Cameron glaubt, dass die deutsche (Flüchtlings-)Politik mit Schuld am Brexit gewesen sei.
Und nun, da der GAU eingetreten ist, lässt es Deutschland an Führung vermissen. Bisher war Kanzlerin Merkel vor allem darum bemüht, den Status Quo zu retten. Weiter so, heißt die Devise…
Skyjumper
1. Juli 2016 @ 08:37
„Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir eine klare Führungsrolle in der EU haben“
Fairerweise sollte man an dieser Stelle aber auch mal anführen, dass die Analyse grundsätzlich richtig ist. Irgendeine Nation (oder Institution) MÜSSTE mal eine starke und gestaltungsgewillte Führungsrolle in der EU übernehmen, WENN aus der EU das werden soll was den Eurokraten vorschwebt. Solange 27 Chefköche in der Küche stehen wird da nie ein schmackhaftes Gericht entstehen. Soweit wäre das zielorientiert gesehen das einzig richtige.
Natürlich bietet sich Deutschland von den reinen Basisdaten her für diese Rolle an. DE ist nun einmal das bevölkerungsreichste Land in dem Verein und ausserdem mit Abstand das wirtschafts- und finanzstärkste Land. Empathisch betrachtet ist DE jedoch das letzte Land das für diese Rolle geeignet wäre. Dieser Spagat ist durchaus nicht neu, und in Berlin auch bestens bekannt. Gerade daraus entstand und entsteht viel von der Salamipolitik in Europa. Als verfassungsgemäß föderalistischer Staat hat Berlin zudem meist genug damit zu tun die nachgeordneten Staatssubjekte (Bundesländer) in eine gemeinsame Spur zu bringen, bevor es überhaupt daran denken kann eine übergeordnete Führungsrolle zu übernehmen.
Wenn die Reserveachse Paris-London jetzt jedoch wegfällt wird Deutschland gezwungen sein einen Teil des entstehenden Machtvakuums zu füllen. Und daraus wird noch viel böses Blut bei unseren Nachbarn entstehen.
Nicht nur bei den kleinen wo das zu erwarten wäre, nein auch in Frankreich wird sich das verstärken. Bisher gelang es Paris ganz gut in der Achse Berlin-Paris den gleichberechtigten Partner zu demonstrieren. Zukünftig wird jedoch erkennbar werden das Paris der Juniorpartner dabei ist. Das „Grandeur de la France“ wird Pickel dabei kriegen.
Gerade weil man das alles in Berlin sehr gut weiß, andererseits jedoch um die Notwendigkeit einer Führungsrolle weiß, gerade aus dem Grund hört man aus Berlin immer wieder den Ruf nach starken EU-Institutionen. Ob nun Schäuble mit seinem Pseudo EU-Finanzministerium, oder Steinmeier mit seinen Wiederbelebungsträumen der EVG, sie haben das bestehende Dilemma gut erkannt. Doch ihre Lösung das Führungsvakuum zu füllen OHNE Deutschland in den Vordergrund zu rücken läuft eben auf eine EU-Vertiefung hinaus und ist genauso unbeliebt.
Claus
30. Juni 2016 @ 19:07
„Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir eine klare Führungsrolle in der EU haben“ Ganz erstaunlich, das von Norbert Röttgen zu hören, und sicher überhaupt nicht das, was sich die Franzosen, die Mittelmeerstaaten, die Osterweiterungen – ach, was sage ich – was sich wohl niemand wünscht. Dann wären die nächsten ???exits auf der Schiene und die Rest-EU bestünde bald aus Schland und der Türkei. Das würde die ganze Sache natürlich mächtig vereinfachen. Und wenn Röttgen persönlich an dieser Führungsrolle beteiligt wird, geht alles noch ein bisschen schneller – eine Kostprobe seiner ministeriellen Durchsetzungskraft war ja bereits zu beobachten.
S.B.
30. Juni 2016 @ 16:36
“Und nun, da der GAU eingetreten ist, lässt es Deutschland an Führung vermissen. Bisher war Kanzlerin Merkel vor allem darum bemüht, den Status Quo zu retten.”
Merkel kann überhaupt nicht Führen. Führen ist nämlich etwas Konstruktives und etwas Konstruktives hat sie in ihrer ganzen, schon viel zu langen Regierungszeit noch nie gemacht. Das Einzige, was sie beherrscht, ist machtgeleiteter und opportunistischer Aktionismus. So hat sie aus Deutschland Schland gemacht; ein Land im Staatsauflösungsmodus. Wer erwartet ernsthaft von dieser Person, dass sie auf EU-Ebene irgendetwas anders machen würde und könnte?