Kein Motor mehr

Die Eurokrise hat nun auch offiziell die Realwirtschaft erfasst. Nach einer leichten Rezession in diesem Jahr dürfte die Wirtschaft in der EU im kommenden Jahr stagnieren, die Arbeitslosigkeit steuert auf neue Höchstwerte zu. Außerdem werden die Defizitziele trotz harter Sparvorgaben aus Brüssel verfehlt, teilte die EU-Kommission mit. Dennoch stellt sie ihren fatalen Kurs nicht in Frage.

Fast alle Schätzungen aus dem Frühjahr wurden nach unten revidiert. Das trifft nicht nur die Krisenländer, sondern auch Deutschland: Das größte Euromitglied hat seine Rolle als „Konjunkturlokomotive“ verloren und soll nächstes Jahr gerade einmal um 0,8 Prozent wachsen. Das ist fast ein Prozent weniger als in der Frühjahrsprognose.

Damit fällt auch der letzte Motor der Euro-Wirtschaft aus, denn Frankreich steht noch schlechter da. Zwar dürfte die Wirtschaft jenseits des Rheins auch 2013 leicht wachsen. Dämpfend wirkt aber das Sparprogramm, das Paris auf Drängen Brüssels durchziehen muss. Trotzdem dürfte das Sparziel verfehlt werden; die EU-Kommission rechnet mit einem Budgetdefizit von 3,5 Prozent statt der zugesagten 3,0. In dieser Schätzung ist allerdings der letzte Schwenk der sozialistischen Regierung noch nicht berücksichtigt (siehe „Paris auf Agenda-Kurs“)

Besonders alarmierend ist die Lage in Spanien. Die Regierung in Madrid sollte eigentlich 2014 wieder die Defizitgrenze von drei Prozent einhalten – doch daran glaubt selbst die EU-Kommission nicht mehr, obwohl Madrid alle Auflagen aus Brüssel einhält. Erwartet werden 6 Prozent Defizit 2013 und sogar 6,4 Prozent 2014. Sollte sich das bewahrheiten, kommt Madrid wohl nicht um ein „Vollprogramm“ mit Notkrediten und Troika-Diktaten herum.

Etwas besser steht auf dem Papier Griechenland da, das ebenfalls 2014 seine Neuverschuldung unter Kontrolle bringen muss. Allerdings fällt der wirtschaftliche Absturz schlimmer aus als erwartet. Für 2013 wird noch mit einem Minus von 4,2 Prozent gerechnet, statt mit einer Rückkehr zum Nullwachstum wie noch im Mai. Und diese Prognose gilt auch nur unter der Annahme, dass die Troika grünes Licht für weitere Hilfen gibt. Ob dies nun endlich kommt, wollte Rehn nicht sagen.

Zurückhaltend äußerte sich der Kommissar zur Kritik des Internationalen Währungsfonds (IWF), die EU habe die Auswirkungen der Sparpolitik auf die Wirtschaft unterschätzt. Man führe einen „konstruktiven Dialog“ mit dem IWF, sagte er. Die Experten in Washington hatten kritisiert, dass der Sparkurs die Krise in Griechenland verschärft habe und die Sparbemühungen zunichte mache (siehe „Der IWF denkt um“).

Die jüngsten Zahlen aus Brüssel geben ihnen Recht: Der Schuldenberg in Athen wird immer größer. Er wächst in diesem Jahr auf 176 Prozent der Wirtschaftskraft, heißt es in der Prognose. Im Mai war noch mit 160 Prozent gerechnet worden. Für die nächsten Jahre  wird mit einem weiteren Anstieg auf bis zu 188 Prozent gerechnet. Als tragfähig gilt ein Wert von maximal 120 Prozent.

Insgesamt bestätigt sich der Eindruck, dass die EU-Kommission die fatalen Folgen des eigenen Handelns – einer prozyklischen und pauschalen Sparpolitik – unterschätzt hat. Die Konsolidierung würgt nun in ganz Europa die Konjunktur ab, aus der Schulden- wird eine  massive Wirtschafts- und Sozialkrise. Doch ein Umdenken ist nicht in Sicht – im Gegenteil: künftig will die EU eine expansive Wirtschaftspolitik ganz unmöglich machen… (mehr dazu hier)