„Das Ende der EU, wie wir sie kennen“
Leiten die Wahlen in Österreich und Italien einen Rechtsruck in ganz EUropa ein – Deutschland eingeschlossen? Diese bange Frage stellt der britische „Guardian“. Es drohe das „Ende der EU, wie wir sie kennen“.
Dass ausgerechnet ein britisches Blatt diese Warnung ausstößt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich waren es die Briten, die der EU den ersten und womöglich fatalen Schlag versetzt haben – mit dem Brexit-Referendum im Juni.
Schuld an der Niederlage der EUropäer waren nicht allein Populisten und Nationalisten vom Schlage eines N. Farage, sondern die konservativen Tories um D. Cameron, bis dato engster Partner von Weltretterin und EU-Königin A. Merkel.
Auch in Österreich hat Merkel maßgeblich zum Erfolg der Rechten beigetragen – mit ihrer unilateralen Flüchtlingspolitik. In Italien hat es die Kanzlerin abgelehnt, die EU neu zu gründen, wie es Noch-Premier Renzi im Sommer angeboten hatte.
Nun droht ihr selbst ein Debakel, wie der „Guardian“ schreibt. Bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 könnte die AfD zur drittstärksten Partei werden. Dann würde es womögöglich nicht einmal mehr für eine GroKo mit der SPD reichen.
Um das zu verhindern, müsste die EU jetzt umsteuern. Im Europaparlament hat man dies erkannt; dort wollen die Sozialisten die GroKo verlassen und eine neue Progressive Allianz gründen, um auf die Sorgen der Menschen einzugehen.
Doch im Rat, wo Merkel den Ton angibt, spürt man nichts vom Wind of Change. Dort geht man genauso unvorbereitet in die Wahlen in Italien und Österreich wie seinerzeit in das Brexit-Referendum…
Reinard
9. Dezember 2016 @ 17:58
@Claus: diese Wahrnehmung scheint mir das Ergebnis einer Filterblase zu sein, wie man das jetzt nennt: wir haben nahezu weltweit, mindestens aber in der westlichen einen enormen Zug nach rechts zu verzeichnen oder besser zum Konservativen, Bewahenwollenden. Dem entgegenstehende Beispiele wären interessant.
Claus
4. Dezember 2016 @ 10:08
Schöner Beitrag, zu dem ich noch anmerken möchte:
1) „Rechtsruck in ganz Europa“: Nur in der Wahrnehmung eines inzwischen weit nach „Links“ gedrifteten politischen Koordinatensystems, das sich fälschlich immer noch als „Mitte“ versteht, ließe sich das so konstatieren. Tatsache ist vielmehr: Der sogenannte Rechtsruck ist objektiv eine Gegenbewegung eines zu weit nach „Links“ verschobenen politischen Systems zurück zur „Mitte“.
2) „ . . .um auf die Sorgen der Menschen einzugehen“: Ständig von „Sorgen“ der Menschen zu sprechen, ist schönste „Nanny-Politik“ (wie auch Journalismus). Lassen wir doch einfach mal Menschen „die Schnauze voll haben“ von einer Politik, die sie zutiefst und mit aller Überzeugung ablehnen. Das muss nicht unbedingt etwas mit „Sorgen“ zu tun haben.
Reinard
4. Dezember 2016 @ 10:52
@Claus: mir war bisher gar nicht bewussst, dass wir in einem linkssozialistisch durchgegerbten Land leben. Aber ob nun links und rechts noch relevante Kategorien sind lassen wir mal auf der Seite liegen: entscheidend scheint mir doch viel eher, dass die alte europäische Kuscheligkeit nicht mehr funktioniert und die Angst die Leute ins konservative, vermeintlich bewahrende Lager treibt. So, wie’s früher immer war – dieser Wunsch ist der Antrieb. Und „konservativ“, das ist eben nach alter Sitzordnung „rechts“. Und der Vorgang als solcher wird im derzeitigen Sprachgebrauch als Rechtsruck bezeichnet. Nichts zu machen, Ebo hat recht…
Peter Nemschak
4. Dezember 2016 @ 12:33
Die politische Mitte, egal ob rechts oder links von der Mitte, ist über die Jahre erstaunlich konservativ im Sinne von systemkonservierend geworden, während der soziale Wandel unaufhörlich weiter gegangen ist und Herausforderungen geschaffen hat, welche von der Mitte nicht bewältigt wurden.
Claus
5. Dezember 2016 @ 08:22
@Reinhard: Aus Sicht einer derzeitigen Momentaufnahme stimme ich zu, es widerlegt aber meine These von der in den letzten 2 Dekaden erfolgten Linksrotation des politischen Systems nicht. Äußerungen, wie sie von Merkel, Kohl, Schmidt & Co. vor noch nicht allzu langer Zeit an der Tagesordnung waren, sind inzwischen nicht mehr denkbar, ohne in den politisch-medialen Empörungs-Bannstrahl „rechtsextrem“ oder mindestens „rechtspopulistisch“ zu geraten. Beispiele hierfür gibt es reichlich. Inzwischen gibt es aufgrund aktueller Entwicklungen in USA, UK und Osteuropa die ersten längst überfälligen Lockerungsübungen, und das ist auch gut so.
OXIgen
3. Dezember 2016 @ 18:59
@ebo
Also jetzt muss ich dich doch mal ein klein wenig rüffeln. EU-Königin kann Angela weder sein noch jemals werden, denn dazu braucht es eine schier unendlich lange Ahnenreihe von Räubern, Plünderern und Mordbuben. Kaiserin, ja das geht, da kann man sich selbst krönen wie dereinst der Korse. Die Ähnlichkeit ist vielleicht gar nicht so zufällig: klein, unförmig und sehr, sehr grimmig wenn es um das ganze große Europa geht! Unter diesem napoleonischen Aspekt habe ich la bonne Anschie noch gar nicht betrachtet. Interessant.
Aber Spaß beiseite: ein Ende der EU wie wir sie nun zur Genüge kennen, wäre mehr als wünschenswert. Unsere gute liebe alte EU, die so friedlich und kuschelig war, dass wir uns stets an ihr wärmen konnten, wenn es da draußen übel zuging, ist leider inzwischen verstorben und zu neoliberaler Asche zerstaubt. Übrig geblieben ist ein Zombie, der uns gruselt.
Man kann die gute alte Tante nicht einfach „neu gründen“, man muss sie in Würde beerdigen und die Erbschaft gerecht und sozial verteilen. Weg mit den Nichtsnutzen auf den fetten Pfründen, weg mit den großkotzigen Lallbacken! Her mit einer neuen europäischen Familie, in der die Jugend eine Zukunft haben kann. Die tote alte Tante muss jetzt wirklich weg, bevor sie noch länger rumstinkt. Wer ihr letztlich das Grab schaufelt, ist mir inzwischen völlig egal.
ebo
3. Dezember 2016 @ 20:57
@OXIgen Okay, dann krönt sie zur Kaiserin. Der Obama-Besuch in Berlin war ja schon fast sowas…
S.B.
3. Dezember 2016 @ 17:29
Die Wahlen in AT und IT, leiten keinen Rechtsruck ein, sondern eine kräftige Bewegung von extrem weit links hin zur alten Mitte. Hoffen wir, das es so geschieht.
ebo
3. Dezember 2016 @ 17:43
@S.B. Wo sollen Renzi und Faymann denn „extrem weit links“ sein?
S.B.
3. Dezember 2016 @ 20:50
@ebo: Wo sollen die beiden den stehen, wenn es einen „kräftigen Rechtsruck“ geben könnte? Etwa in der Mitte? 😉
ebo
3. Dezember 2016 @ 20:54
S.B. Da verorten sie sich selbst, als Linksradikale werden sie nirgendwo beschrieben…
Peter Nemschak
4. Dezember 2016 @ 07:38
Die alte Mitte wird sich auflösen oder, was wahrscheinlicher ist, die politischen Vorstellungen von rechtsaußen in ihre Programme teilweise integrieren und dadurch salonfähig machen: weniger Migration, weniger Globalisierung, mehr Förderung benachteiligter Gruppen, sei es durch bessere Bildungschancen für die Jungen und stärkere materielle Absicherung für die über 50-Jährigen. Das wird den technologischen Fortschritt und damit einhergehenden sozialen Wandel zwar nicht aufhalten, aber seine Auswirkungen auf die Menschen abmildern können. In Europa wird es, weil es ihn ohnedies gibt, nicht mehr sondern einen anders fokussierten Sozialstaat geben. In der EU wird eine differenzierte Vertiefung kommen müssen, will sie überleben. Die für alle geltenden gemeinsamen Regeln werden zunehmend aufgeweicht werden, weil der Staatenbund zu heterogen ist. Ob der Euro in der jetzigen Form ohne geordnete Austrittsmöglichkeit überleben kann, ist höchst zweifelhaft. Je länger mit einer diesbezüglichen Reform gewartet wird, desto größer ist die Gefahr eines Crash. Systeme müssen anpassungsfähig und flexibel bleiben, um nicht zu explodieren.
bluecrystal7
4. Dezember 2016 @ 07:38
„…sondern eine kräftige Bewegung von extrem weit links hin zur alten Mitte.“ – Nee, eher nicht, denn weder Renzi, Hollande, Faymann, oder Kern sind links, im Sinne von sozialistisch. Das sind allesamt Sozialdemokraten.
Peter Nemschak
3. Dezember 2016 @ 13:32
Die Wahlen in Österreich sind die Abrechnung mit einem System, das mehr oder minder unverändert seit 1945 geherrscht und sich totgelaufen hat. Man hat den Eindruck, als würde es sich um Wahlen zum österreichischen Nationalrat und nicht um Bundespräsidentenwahlen handeln. Sowohl in der SPÖ wie in der ÖVP gibt es starke Spaltungstendenzen. Sollte Hofer gewinnen, wäre eine Fortsetzung der großen Koalition bis 2018 logisch wahrscheinlich, da die Koalitionsparteien derzeit bei Neuwahlen mit weiteren Verlusten rechnen müssen. Offenbar erhoffen sich viele Bürger von neuen Eliten, dass diese besser auf ihre Befindlichkeiten (Sicherheit und Heimatgefühl in einer globalisierten Welt und einem rasanten technischen Fortschritt, die immer weniger verstanden werden) eingehen würden. Es werden sich in Europa neue Koalitionen, in Zukunft wahrscheinlich auch neue Parteien bilden. Wird die Welt deshalb untergehen? Lassen wir uns überraschen.
Pjotr56
3. Dezember 2016 @ 12:16
„Dann würde es womöglich nicht einmal mehr für eine GroKo mit der SPD reichen.“
Na und? Als Mehrheitsbeschaffer bieten sich die Olivgrünen doch bereits an.
OT: Die Möpse über dem Link zu „Crazy Heart Media“ sind zwar hübsch anzusehen, der Link führt jedoch zu einer höchst zweifelhaften Seite.