Das Ende aktiver Wirtschaftspolitik

Die Masterpläne zur Überwindung der Eurokrise und zum Aufbau einer „echten“ Wirtschaftsunion häufen sich. Nach Van Rompuy I und II hat nun auch Finanzminister Schäuble eigene Vorschläge für einen neuen „Euro-Staat“ („Die Zeit“) vorgelegt, die offenbar mit Kanzlerin Merkel abgestimmt sind. So unterschiedlich die Pläne  im Detail sind, eins ist ihnen allen gemein: Sie bauen auf dem umstrittenen Fiskalpakt auf, höhlen das nationale Budgetrecht weiter aus und machen eine aktive, antizyklische oder gar expansive Wirtschafts- und Finanzpolitik fast unmöglich.

Als vor zehn Monaten der Fiskalpakt aus dem Hut gezaubert wurde – in einem Coup des Merkozy-Duos, gegen die gesamte EU-Spitze, ohne Rücksicht auf Großbritannien – sollte dies der Grundstein für eine neue, krisensichere Währungsunion sein. Zusammen mit dem dauerhaften Rettungsschirm ESM und der EZB-Geldschwemme für die europäischen Banken, so gab sich Kanzlerin Merkel noch auf dem März-Gipfel sicher, würde dieser Pakt die akute Phase der Eurokrise beenden und den Krisenstaaten einige Jahre Luft verschaffen.

Tatsächlich wurde alles nur noch schlimmer. Fiskalpakt und ESM sorgten für einen Regierungswechsel in Frankreich, eine Verfassungskrise in Deutschland, und eine Flucht der Krisenstaaten vor den Euro“rettern“. Heute möchte sich niemand mehr dem Schreckensregime der Troika im ESM unterwerfen, und der Fiskalpakt ist bereits in mehreren Ländern gescheitert (u.a. Spanien, Portugal, Niederlande). Grund genug, den hoffnungslosen Kurs der Austeritätspolitk und der Spar- und Reformdiktate zu verlassen, und wenigstens einige Elemente einer wachstums- und beschäftigungsfreundlichen Wirtschaftspolitik einzuführen, sollte man meinen.

Man könnte z.B. den zahnlosen Wachstumspakt aufstocken, die sozialen und ökologischen Ziele der EU-Agenda 2020 in das Reformprogramm aufnehmen und das EU-Budget derart aufstocken, dass sich all dies finanzieren ließe. Man könnte auch eine „Wirtschaftsregierung“ einführen, die diesen Namen verdient. Sie würde sich nicht nur um Budgetdisziplin, sondern auch um Wachstumsimpulse kümmern und Länder wie Deutschland, die Niederlande und Finnland, die das Spitzenrating „AAA“ genießen, zu einer expansiveren Finanzpolitk ermuntern – mit Steuersenkungen. Lohnerhöhungen, weniger strikten Sparvorgaben etc. pp.

Entsprechende Vorschläge liegen auf dem Tisch, namhafte Brüsseler Thinktanks wie Bruegel haben sie durchgerechnet und ausformuliert. Doch auf dem EU-Gipfel Ende dieser Woche ist davon nichts zu sehen. Van Rompuy, Schäuble & Co. haben sich nur den wohlfeilen Slogan „mehr Europa“ zu eigen gemacht, um weniger Budgethoheit, weniger wirtschaftspolitische Spielräume und weniger Demokratie durchzusetzen. Wer sich ihre Entwürfe durchliest, wird Worte wie expansive Finanzpolitik, antizyklische Wirtschaftspolitik oder gar ehrgeizige Wachstums- und Beschäftigungsziele vergeblich suchen.

Überall herrscht die Logik von Austerität und neoliberaler Reform vor. Der Fiskalpakt soll noch restriktiver werden, Liberalisierung und Privatisierung werden durch „Reformverträge“ weiter vorangetrieben, Geld gibt es nur für gefolgsame Schüler der Agenda 2010. Van Rompuy denkt immerhin noch über ein gemeinsames Euro-Budget nach, um „asymetrische Schocks“ abzufedern. Bei Schäuble ist auch davon keine Rede mehr; stattdessen will er den nicht gewählten Wirtschafts- und Währungskommissar zum Euro-Finanzminister machen, der zwar über kein Budget und keine Steuern, dafür aber über absolute Kontroll- und Disziplinierungsmittel verfügt. Das ist selbst dem ARD-Korrespondenten R.-D. Krause zu viel: „Schäubles Vorschläge hebeln die Demokratie aus“, kritisiert er.

Wer gehofft hatte, dass sich das Europaparlament gegen diesen Putsch der Exekutive auflehnt, sieht sich wieder mal enttäuscht. Ein Positionspapier der MEPs enthält zwar viele wichtige Punkte wie einen Schuldentilgungsfonds oder eine Jobgarantie für Jugendliche, doch er bricht nicht mit der fatalen Logik der Euro-“Retter“. Selbst das eklatante Demokratiedefizit nehmen die Europaparlamentarier mehr oder weniger achselzuckend hin – schließlich sollen sie ja irgendwie in die künftigen Strukturen eingebunden werden. Für sie wird „mehr Europa“ also einige Vorteile bringen, auf jeden Fall mehr Macht.

Die Bürger hingegen müssen sich auf mehr Zumutungen gefasst machen. Wenn es nach Schäubles Plan läuft, dürfen sie 2014, bei der nächsten Europawahl, über die neue EU-Reform abstimmen. Doch für eine andere Wirtschafts- und Finanzpolitik dürfte es dann schon zu spät sein…