CETA war erst der Anfang
Paukenschlag aus Luxemburg: Das EU-Gericht hat geurteilt, dass nationale und regionale Parlamente an Handelsabkommen der nächsten Generation beteiligt werden müssen. CETA war erst der Anfang!
Als erster reagierte P. Magnette, der „belgische Asterix“ und prominente Widerstandskämpfer gegen das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA, auf das wegweisende Urteil.
„Das EU-Gericht hat uns Recht gegeben“, freute sich der Ministerpräsident der belgischen Region Wallonie, der CETA im Herbst fast zu Fall gebracht hatte – und damals noch als EU-Gegner präsentiert wurde.
„Für uns ist das eine große Genugtuung“, fügte der sozialistische Politiker hinzu. Er habe ja schon immer gesagt, dass Freihandelsabkommen der „nächsten Generation“, die tief in nationale Gesetze eingreifen, auch von nationalen und regionalen Parlamenten abgesegnet werden müssen – und nicht nur vom Europaparlament in Straßburg.
Ungewöhnlich wortkarg gab sich dagegen die EU-Kommission. Sie begrüßte das Urteil zwar, weil es endlich Klarheit bringe. Gleichzeitig kündigte die Behörde aber an, die Entscheidung sorgfältig zu prüfen.
Offenbar hoffen Kommissionschef Juncker und sein Team, noch ein Schlupfloch zu finden. Man werde nun “einen Weg nach vorn” suchen, so Handelskommissarin Malmström
Die EU-Kommission hatte das Gericht selbst angerufen, nachdem sie sich 2013 mit Singapur grundsätzlich auf ein Freihandelsabkommen geeinigt hatte.
Die EU-Behörde wollte damit erreichen, dass ihre Kompetenzen in der Handelspolitik gestärkt werden – zulasten der nationalen und regionalen Parlamente. Das ist gründlich schief gegangen…
jjdb
19. Mai 2017 @ 09:21
Lieber Eric Bonse,
ich schätze sehr Ihre Berichterstattung aus Brüssel, die um Längen besser ist, als was man sonst so in den Medien darüber lesen kann.
Leider schreiben Sie hier, dass die nationalen und regionalen Parlamente den Freihandelsabkommen stärker beteiligt werden müssen. Leider sind dies astreine “fake news” (um Stefan Schulz vom Aufwachen Podcast zu zitieren), denn die Entscheidung des EU-Gerichtshofes spricht nur von der stärkeren Einbindung der Mitgliedsstaaten, siehe etwa zu letzterem https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2017-05/cp170052de.pdf
In einem anderen Artikel über die Ratifizierung ist etwa die Rede davon, dass “38 nationale und regionale Parlamente” das Abkommen ratifizieren müssen. Das ist falsch! Es sind ausschließlich nationale Parlamente, die dem zustimmen müssen. Belgien bildet hier den Sonderfall aufgrund seiner Verfassung, hier müssen bei entsprechender Zuständigkeit auch alle regionalen Parlamente zustimmen, allerdings von allen 7 Regionen. Also handelt es bei der Ratifizierung sich entweder um 38 nationale Parlamente, oder um 45 nationale und regionale Parlamente.
Siehe dazu folgendes Dokument: http://www.epgencms.europarl.europa.eu/cmsdata/upload/7ce7f104-1295-48f1-962e-51eba78d5ace/Mixed_Agreements_FINAL.pdf
Hoffe Sie achten in Zukunft auf die genaue Darstellung des Sachverhaltes.
Grüße und weiter Alles Gute 😉
jjdb
19. Mai 2017 @ 11:35
Aber das Ganze ist auch dermaßen kompliziert, ich muss mich hier selber korrigieren: In Belgien gibt es insgesamt 7 Parlamente und Versammlungen, die die Abkommen ratifizieren müssen: es gibt 5 Parlamente, die sich aus den drei Regionen (Flandern, Wallonie und Brüssel) und den drei Gemeinschaften (Flämische, Französisch-sprachige und Deutsch-sprachige) konstituieren, wobei die Region Flandern und die Flämische Gemeinschaft sich in einem Parlament zusammengefasst haben. Zudem hat die Französische Gemeinschaft Kompetenzen an die Versammlung der Französischen Gemeinschaft in Brüssel abgegeben, die deshalb auch darüber zu befinden hat, ebenso wie die Gemeinsame Kommission der Gemeinschaften in Brüssel, die auch gesetzgeberische Kompetenzen über Belange hat, die nicht exklusiv zu einer der Gemeinschaften in Brüssel zuzuordnen sind.
Folglich müsste man dann korrekterweise von nationalen, regionalen und gemeinschaftlichen Parlamenten sowie von gemeinschaftlichen Versammlungen sprechen. Jedenfalls ist es nicht einfach.
ebo
19. Mai 2017 @ 12:47
Danke für die Klarstellung. Natürlich hat das EuGH nichts zu regionalen Parlamenten gesagt. Doch wenn sie an der Handelspolitik beteiligt sind, wie in Belgien, dürfen sie künftig auch mitreden. Über die genaue Zahl der beteiligten Parlamente findet man ganz verschiedene Angaben. Die Quelle aus dem EP ist interessant, danke dafür!
mister-ede
17. Mai 2017 @ 17:27
Das Urteil war absolut vorhersehbar. Das BVerfG hat das im letzten Herbst ja übrigens auch schon so beantwortet. Naja, spätestens jetzt sollte es jeder kapiert haben.
Alexander
17. Mai 2017 @ 13:55
Das ist doch jetzt bereits innerhalb kurzer Zeit das zweite Urteil zu Freihandelsabkommen, das den Konzernfreunden in Brüssel Kummer bereitet?
https://lostineu.eu/ttip-bruessel-bereut-nichts/
Und dabei meinen sie es doch nur gut …
“[…] Karel de Gucht […] Der ehemalige Handelskommissar sitzt seit Mai 2016 im Aufsichtsrat des Stahlriesen ArcelorMittal, einem großen und aktiven Lobbyisten bei den europäischen Institutionen, der jährlich 1.500.000 Euro für Lobbyarbeit dort ausgibt. […] De Gucht wechselte in die Vorstände des Telekommunikationskonzerns Belgacom und der Privatbank Merit Capital.”
https://www.lobbycontrol.de/2016/09/barroso-kroes-de-gucht-juncker-muss-skandaloese-seitenwechsel-verhindern/
ebo
17. Mai 2017 @ 14:12
Richtig. Erst die Klatsche zur Bürgerini “STOP TTIP”, nun die Entscheidung zu CETA & Co.
Manifesto
17. Mai 2017 @ 13:44
Infolge eines Durchgriffs in nationales Recht und nationale Rechtsetzung ist es eben alles andere als klar, dass hier der EU die alleinige Kompetenz zufällt. Ich verweise insoweit auf die ausführlich geführte Diskussion in diversen Tageszeitungen, Rechtsforen etc.
Ich halte es übrigens für eine unzulässige Umgehung der Entscheidungen der jew. Wahlbevölkerungen, wenn die von ihnen (demokratisch) gewählten Regierungen ihrerseits die Legitimation einfach abgeben. Bei Lichte besehen müsste jede Entscheidung über eine Abgabe von Kompetenzen durch einen Volksentscheid herbeigeführt werden.
Peter Nemschak
17. Mai 2017 @ 14:57
Warum unbedingt Volksentscheid? Haben Sie kein Vertrauen in demokratisch gewählte Regierungen? Volksentscheide sind missbrauchsanfällig durch Populisten.
Manifesto
17. Mai 2017 @ 17:37
Ich sage damit nicht, dass ich grundsätzlich ein Freund von Volksentscheiden bin. Aber wenn nationale Regierungen und Parlamente, gewählt durch ihr jew. Wahlvolk, Kompetenzen an andere supranationale Institutionen abgeben, dann konterkariert das die Entscheidung der Wähler, die eben die nationalen Abgeordneten – für was auch immer – gewählt haben.
Sie merken doch auch, dass z.B. die bundesdeutschen Politiker mit kaum einem Wort Europapolitik machen. Aus gutem Grunde übrigens: Wenn Frau Merkel oder Herr Schulz jetzt damit kämen, sie wollten weitere Kompetenzen an die EU abgeben, wäre der jew. Wahlkampf gelaufen.
Oudejans
17. Mai 2017 @ 18:10
Sie /machen/ Europapolitik dauernd. Nur ist seit min. zwei Jahrzehnten ungeschriebenes Gesetz die sog. außenpolitische Kontinuität, kraft derer die europapolitischen Positionen (bzw. Festlegungen ggü. anderen EU-Regierungen) der Bundesregierungen de facto der politischen Konkurrenz enthoben sind. Im Verbund mit dem Konzept der Ever Closer Union wandern somit mehr und mehr Kompetenzen nach außerhalb der Kontrolle des Souveräns – und oftmals unterhalb des Radars desselben. Aufgrund so verschobener Kompetenzen ergangene politische Festlegungen in Form von Richtlinien und Verordnungen werden dann (mittlerweile) als zunehmend illegitim und fremdherrschaftlich empfunden.
Das gutsherrliche Handling von TTIP/CETA nebst Paralleljustiz, Leseminutenkontingenten und Notizverboten ist nur der vorläufige Höhepunkt der ersehnten Selbstopferung der politischen Repräsentation an den allerlösenden Markt, der wie alle Machtdeals auf Unrückholbarkeit angelegt ist.
Desgleichen GB, das in der EU sein wird oder nicht sein wird.
Alle Macht will Ewigkeit.
Manifesto
17. Mai 2017 @ 18:20
@Oudejans: Genau so ist es. Ich wies auch nur darauf hin, dass man damit keinen Wahlkampf macht, da die Absichten dann eben ruchbar und dem Streite hingegeben wären. Deshalb lässt sich mit “Europa” auch schlecht ein erfolgreicher Wahlkampf machen.
Daraus folgt, dass die jew. gewählten nationalen Politiker ihre Europapositionen gar nicht zur Abstimmung stellen, und auch nicht dafür gewählt oder nicht gewählt werden. Damit haben sie aber auch kein Mandat, um z.B. ihre eigenen Kompetenzen an andere (EU) abzugeben.
Das wird freilich ständig unterlaufen.
Peter Nemschak
17. Mai 2017 @ 08:44
Wenn Handelsverträge in die Kompetenz der EU fallen, wäre das europäische Parlament und nicht nationale Parlamente zuständig. Das Urteil stellt sich dem europäischen Integrationsprozess in den Weg. Jetzt zeigt sich das wahre Gesicht der sozialistischen Politiker, die immer so tun, als wäre der europäische Integrationsprozess ihr Herzensanliegen – offenbar nur so lange, als er der Umverteilung in die Taschen ihrer Klientel dient.
Werner G
17. Mai 2017 @ 10:14
Wie kann sich ein EU-Gericht erdreisten ein Urteil zu fällen, welches nicht in das Weltbild von Herrn Nemschak paßt…
Typisch Korinthenk…er, Kompetenzgerangel geht natürlich dem Willen der Bevölkerung vor!
Nur immer weiter so, Ihr Gedankengut stärkt die RECHTEN
Peter Nemschak
17. Mai 2017 @ 12:22
Seien Sie tolerant! Lassen Sie mir mein Weltbild, so wie ich Ihnen das Ihre lasse.
Oudejans
17. Mai 2017 @ 13:33
>>”Lassen Sie mir mein Weltbild…”
La métaphysico-théologo-cosmolonigologie.
Pjotr56
17. Mai 2017 @ 11:08
Alles falsch, Nemschak! Dieses Urteil dient dazu, der durch und durch undemokratischen Brüsseler EU der Konzerne demokratisch legitimierte Parlamente entgegen zu stellen.
Deutschland spielt in dieser Gewaltenteilung leider keine interessenausgleichende Rolle, weil die Deutschen zu uninformiert oder zu dumm sind Kräfte zu wählen, die es sich nicht durch Parteispenden geschmiert im Rektum des Kapitals gemütlich gemacht haben.
Peter Nemschak
17. Mai 2017 @ 12:20
Wenn das Recht Handelsverträge abzuschließen von den Mitgliedsstaaten an die supranationale EU vertraglich delegiert wurde, wären sinngemäß auch die supranationalen Institutionen (Kommission, EU-Parlament und Rat) zuständig und nicht mehr die Mitgliedstaaten inklusive deren Parlamente. Das ist nicht undemokratisch, da von demokratisch gewählten Regierungen an die EU delegiert. Man sollte das Thema rechtlich systematisch betrachten und nicht nach jeweiligen politischen Interessen in der Gesellschaft. Offenbar hat der EuGh Mängel bei der Kompetenzdelegation festgestellt. Die Sinnhaftigkeit der EU wird immer dann in Frage gestellt, wenn es manchen Gruppen nicht in ihr Weltbild und ihre egoistischen Interessen passt. Für die Roten ist die EU immer dann wünschenswert, wenn sie mehr Umverteilung bewirkt, immer dann abzulehnen, wenn sie mehr wirtschaftliche Liberalität den Bürgern bringt. Bei den Konservativen ist es (teilweise) umgekehrt. Auf diese Weise wird der Integrationsprozess in der EU verlangsamt bzw. aufgehalten. Da hilft kein Gejammer.