Cameron überzieht
Es sei mit drei Hemden nach Brüssel gekommen, sagte der britische Premier Cameron beim EU-Gipfel zum Brexit. Doch das könnte nicht reichen – denn die Chefs haben sich verheddert. Cameron überzieht.
Und zwar nicht nur zeitlich – eigentlich sollte die Einigung zum Breakfast kommen, nun ist es schon ein „English dinner“ (die Happy hour haben die EU-Granden gleich ausfallen lassen…).
Der Tory überzieht auch inhaltlich. Statt für vier Jahre sollen Sozialleistungen an eingewanderte EU-Bürger (vor allem Polen) plötzlich um bis zu 13 Jahre ausgesetzt werden. Die Osteuropäer sind empört.
Eine Kürzung, die 13 Jahre gelte, habe keinen vorübergehenden Charakter mehr, sagte Tschechiens Ministerpräsident Sobotka. Auch Belgien und Frankreich haben Einwände.
Griechenland droht gar mit Veto – um den geplanten Mauerbau in Mazedonien zu verhindern. Nur Kanzlerin Merkel sagt zu allem Ja und Amen. Sie braucht Cameron wohl zum Sozialabbau…
Mehr zum EU-Gipfel hier
Peter Nemschak
20. Februar 2016 @ 10:42
Durchaus verständliche Wünsche der Briten, die auch von den meisten anderen Mitgliedern geteilt werden. So sind sie alle ! Daher braucht es einen gesamteuropäischen Rahmen, um auch die richtigen Signale an Mobilitätswillige zu schicken. Gleiches gilt für Migration von außerhalb der EU.
ebo
20. Februar 2016 @ 11:18
Na klar. Wenn Cameron gefordert hätte, das Kindergeld für Ausländer ganz abzuschaffen, hätten auch alle gejubelt. Beim Sozialabbau sind sie fix, so ist das eben in der neoliberalen EU. SO sind sie alle, leider…
DerDicke
22. Februar 2016 @ 06:27
Wenn alle so sind – dann wird es Zeit den Verein auch formal aufzulösen. Mit einer Mitgliedschaft hat GB-Model nur noch formal etwas zu tun.
Claus
20. Februar 2016 @ 09:35
Als Halb-Brite muss ich sagen: Absolut grandios, was der gute David da gestern von seinen 27 EU-Regierungs- und Staatschefs aufs Tablett gelegt bekommen hat, damit er bei der Stange bleibt und das EU-Konstrukt nicht noch weiter ins Wackeln kommt. Britannia genießt zu Discount-Konditionen alle Privilegien einer EU-Mitgliedschaft, aber kann sich aus allem anderen Ungemach wie Euro, Soziales, EU-Regulierungswut und -Rechtsprechung, Schengen etc. etc. schön heraushalten. Gut gemacht!
Als Demokrat frage ich mich allerdings: Wenn 28 Leute das während des Desserts, wie Cameron sagte, „völkerrechtlich verbindlich“ entscheiden können, welche Rolle hat denn das sogenannte EU-Parlament da gehabt? War das komplett dabei oder hatte es das vorher schon abgenickt? Wenn nein, wofür wird es eigentlich gebraucht? Wenn es um „völkerrechtlich Verbindliches“ geht, haben da nicht die nationalen Parlamente aller EU-Mitgliedsstaaten zu entscheiden? Oder kommt das noch?
Wobei dann noch zu fragen bleibt: Warum wollen die übrigen 27 Länder nicht die gleichen Vorzugskonditionen? Das hätte man doch mindestens als einen ersten wenn auch zaghaften Schritt für eine EU-Reform verkaufen können!
DerDicke
22. Februar 2016 @ 06:24
Man braucht das Parlament, damit man von sich selbst sagen kann man hätte eines. Erweckt den Anschein von Demokratie.
Auch in Syrien gibt es eine Volkskammer / Parlament. Dort hat die Baath-Partei immer mindestens 51% der Stimmen, unabhängig vom Wahlergebnis.
Kommt in der EU bestimmt auch noch – so manches europäische Wahlrecht auf Landesebene unterscheidet sich nur noch auf den ersten Blick vom syrischen.
Claus
19. Februar 2016 @ 20:54
Cameron überzieht nicht – er hat seine Wähler im Nacken und möchte wiedergewählt werden! Und welcher Politiker möchte das nicht?
Denn ca. 80% der Briten wollen die EU-Arbeitsmigration vornehmlich aus Osteuropa, die England eine der größten Einwanderungswellen in seiner Geschichte beschert hat, überhaupt nicht. Wie sie sich auch keinen weiteren Preisdruck und keine zunehmenden Verdrängungseffekte im Niedriglohnbereich wünschen. Geschweige denn, dass sie den Sozialtourismus, der einen nicht unwesentlichen Anteil daran hat, aus ihren Kassen fördern wollen.
So sind sie nun mal, die Briten.
Peter Nemschak
19. Februar 2016 @ 17:27
Alle Sozialleistungen auf 13 Jahre? Meines Wissens gibt es in den Mitgliedsländern unterschiedliche und inkonsistente Regeln, um Sozialstaatsarbitrage zu vermeiden. Was fehlt sind einheitliche Grundprinzipien, um Wettbewerbsneutralität am Arbeitsmarkt sicherzustellen. Solange ein polnisches Unternehmen Arbeitskräfte nach Österreich entsendet, die zwar den in Österreich geltenden Lohn bekommen, Sozialabgaben darauf aber in Polen leisten müssen, wo die Sozialabgeben wesentlich geringer als in Österreich sind, gibt es keine Wettbewerbsneutralität. Dieser Umstand wird von den Arbeitnehmervertretungen zu Recht kritisiert.