Niemand liebt den Binnenmarkt

Das Schweizer Votum gegen die grenzenlose Einwanderung hat die EU tief verunsichert. Schließlich gehört die Freizügigkeit zu den so genannten „Grundfreiheiten“ des EU-Binnenmarkts. Und der ist doch heilig, oder?

Als Binnenmarkt wird in der VWL ein abgegrenztes Wirtschaftsgebiet bezeichnet, das durch den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitnehmern sowie eine angeglichene Rechtsordnung gekennzeichnet ist.

So steht es auf Wikipedia, und so ist es auch in der EU.  Wer an einer der vier Freiheiten rüttelt, rüttelt am Binnenmarkt. Und damit greift er die Raison d’être der EU an, die schließlich vor allem eine Wirtschaftsgemeinschaft ist.

Deshalb sind sie nun alle so sauer in Brüssel. Am schönsten hat es mal wieder der Grüne D. Cohn-Bendit ausgedrückt:

„Gibt es Quoten für Menschen, muss es auch Quoten für die Geschäfte der Schweizer Banken und die Exporte der Schweizer Wirtschaft geben.“

Schön wär’s, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass der Binnenmarkt zu einem Fetisch verkommen ist – seine Idee wurde nie vollständig umgesetzt, in der Praxis wird er ständig eingeschränkt.

Als J. Delors den Binnenmarkt 1993 aus der Taufe hob, wollte er ihn um soziale und politische Aspekte (Regulierungen) ergänzen. Doch die Wirtschaftsliberalen haben das blockiert, das Projekt blieb unvollendet.

Doch selbst der so verkürzte Binnenmarkt ist Flickwerk geblieben. In vielen Wirtschaftsbranchen – Dienstleistungen, Energie, Transport, Internet – funktioniert er gar nicht oder nur in Ansätzen.

Und selbst in seinem wirtschaftsliberalen Kern – bei der Freiheit des Kapitals – ist der Wurm drin. Seit der Eurokrise ziehen sich Banken und Unternehmen wieder auf „ihre“ Nationen zurück.

Dieser Wirtschaftsnationalismus wird genau von jenen Regierungen geschürt, die sich jetzt lauthals über die Schweizer beschweren – Deutschland eingeschlossen.

Die Kreditklemme in Südeuropa und die Kapitalverkehrskontrollen auf Zypern tun ein Übriges, um den Binnenmarkt auszuhöhlen. Die Basis der EU gleicht schon jetzt einem Schweizer Käse.

Das heißt nicht, dass man die Freizügigkeit nicht verteidigen müsste, im Gegenteil. Doch man sollte es im Namen der Freiheit tun – und nicht im Namen abstrakter Prinzipien namens Binnenmarkt.

„Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“, warnte schon J. Delors.

Und man sollte schon gar nicht versuchen, die Marktfreiheiten gegen die Demokratie auszuspielen. Das nimmt nicht nur die Schweiz übel – es könnte auch bei der Europawahl schief gehen… 

Siehe auch „Vormarsch der Rechten“ Teil 1 und Teil 2 (mit Zahlen)

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