Bewusste Irreführung (II)
Die Eurogruppe hat das Hilfsprogramm für Zypern wie erwartet abgenickt. Sie hat nur eine Kleinigkeit geändert: der Finanzbedarf wurde von 17 auf 23 Mrd. Euro erhöht; die Deckungslücke von 6 Mrd. Euro soll Zypern selbst tragen. Wie das gehen soll, und wie die neuen Zahlen zustande kamen, bleibt im Dunkeln.
Bisher hat die Eurogruppe größten Wert darauf gelegt, das Vertrauen in die Währungsunion wiederherzustellen. Doch nun unterwandert sie das Rest-Vertrauen in ihre eigene Arbeit.
Erst wurde die Stützung Zyperns monatelang mit dem Hinweis auf „russisches Schwarzgeld“ verschleppt. Vor allem die deutsche Öffentlichkeit wurde hinters Licht geführt (siehe „Bewusste Irreführung“, Teil 1).
Dann wurde behauptet, Zypern habe das falsche „Geschäftsmodell“ und müsse sich daher ausnahmsweise an der eigenen Rettung beteiligen. Der „Bail-in“ werde auf 7 von insgesamt 17 Mrd. Euro begrenzt (siehe „Ende eines Geschäftsmodells“).
Und nun kommt ‚raus, dass der Hilfsbedarf wesentlich höher ist, nämlich 23 Mrd. Euro, und dass Zypern davon 13 Mrd. Euro selbst tragen soll. Damit wird der „Bail-in“ größer als der Bail-Out, der bei 10 Mrd. Euro bleibt.
Alle Zahlen waren falsch, um nicht zu sagen gefälscht. Doch das sagt man natürlich nicht. Die Journalisten, die dennoch nachzufragen wagten, wurden von EU-Währungskommissar Rehn zurechtgewiesen:
People have been comparing apples and pears, and have come up with oranges, #Rehn tells #eurogroup presser on confusion on #Cyprus financing
— James Kanter (@jameskanter) 12. April 2013
Angeblich haben die Reporter Brutto mit Netto verwechselt und die ökonomischen Rahmen-Bedingungen vergessen. In Wahrheit führt die Eurogruppe uns erneut in die Irre.
Denn nicht nur die Zahlen sind falsch, auch die Konjunkturprognosen und die geforderten Reformen haben sich „über Nacht“ grundlegend verändert – und zwar erneut zum Schlechten.
Nach den Bankeinlagen sind nun nicht einmal mehr die Goldreserven sicher. Die Euro“retter“ fordern sogar den Verkauf von Zentralbankgold – tun aber so, als müsse dies Nikosia selbst entscheiden. Auszug aus der Vorlage der EU-Kommission:
Gold sales
It is envisaged to use the allocation of future central bank profits of approximately [EUR 0.4bn], subject to the principle of central bank independence and provided such profit allocation is in line with CBC rules and does not undermine the CBC duties under the Treaties and the Statute.
Und dies ist nur eine von vielen radikalen Maßnahmen aus dem Folterkeller der Brüsseler Chicago Boys, die die „Süddeutsche“ zu Recht als „Schocktherapie“ bezeichnet. Sie zeugen davon, dass die gesamte „Rettung“ auf Sand gebaut ist.
Zypern bricht nicht nur das „Geschäftsmodell“ weg, sondern auch die Geschäftsgrundlage für die internationale Hilfe, ja für die Zusammenarbeit mit der EU. Die Insel wurde verraten und verkauft, schlimmer konnte es nicht kommen.
Aber auch die Öffentlichkeit wurde hinters Licht geführt. Vertrauen schafft man so nicht. Beziehungsweise: nur in Deutschland. Denn dort wird man jubeln, dass es bei den 10 Mrd. Euro für die „Geber“ bleibt, wie Finanzminister Schäuble betont.
Nicht wahr, SPD und Grüne? Ihr stimmt doch wieder mit der Regierung, oder?
GS
13. April 2013 @ 18:24
@ebo
Was denkst Du, wer bezahlen wird, wenn der deutsche Staat am Ende Pleite ist? Die große Illusion hier ist doch, dass die staatlichen Taschen in Deutschland unendlich tief sind und es nur eines Fingerschnippsens bedürte, und alles wäre wieder im Lot. Historisch ist es aber doch so, dass bei Staatspleiten, Schuldenschnitten etc. am Ende immer die Besitzer von Vermögen, zuweilen auch Kleinvermögen und Immobilien dafür aufkommen müssen. Man denke z.B. an Deutschland nach dem Krieg. Zypern ist da keinesfalls ein Novum. Und mal ehrlich, wie soll es denn mit unserem Geldsystem auch anders sein? Der Sparer ist nichts anderes als ein Gläubiger der Bank. Und bei Pleiten stehen Gläubiger im Regen.
Verschiedene Formen der Enteignung werden noch auf viele Länder zukommen, und ich denke auch auf Deutschland und Länder außerhalb der Eurozone, da der Ertrag von 1 Euro zusätzlichen Schulden schon seit langer Zeit deutlich unter 1 Euro zusätzlicher Wirtschaftsleistung gesunken ist. Langfristig tragbar werden die Schulden in der westlichen Welt erst wieder, wenn sich die Relation wieder umdreht. Wie das möglich gemacht werden soll, liegt freilich völlig im Dunklen. In Zypern ist die Uhr jedenfalls jetzt schon abgelaufen, bei uns tickt sie noch, aber wenn wir vor lauter Retterei unserer fantastischen Friedenswährung noch mehr und noch mehr und noch mehr auf den Tisch legen, dann wird die Uhr bei uns auch anfangen, schneller zu ticken.
ebo
13. April 2013 @ 20:15
Der deutsche Anteil an der Zypern- Hilfe beträgt nicht mal 3 Mrd! Du willst doch wohl nicht behaupten dass vor das ruiniert?
GS
13. April 2013 @ 23:03
Zypern ist doch nur ein winzig kleiner Mosaikstein. Im Hintergrund lauern doch die großen Elefanten. Nur wenn man schon bei den Mücken alles selbst schultert, wird’s bei den Elefanten noch schwerer, rauszukommen aus dem Transferwahnsinn.
Andres Müller
12. April 2013 @ 23:42
Die Drohung ihr Gold verkaufen zu müssen scheint nicht nur den Zyprioten zu drohen. Dies hat heute die Edelmetallpreise sowie Rohstoffe im Eiltempo runterfahren lassen. Und schon sind die gefährdeten Nationen noch ein Stück näher am Bankrott. Wie bereits die Drohung mit dem Zugriff auf die Einlagen, erweisen Schäuble und Co. den Krisenstaaten damit weiter aktive Beihilfe zum Selbstmord. Diese Unsicherheiten die sich da ausbreiten könnten in Kürze auch auf weitere Staaten übergreifen, schliesslich kann sich dieser sich ausbreitende Vertrauensverlust zur Kettenreaktion ausweiten. Bereits eine kleine informative Zusammenkunft der Geisterreiter Schäuble Djisselbloem Draghi kann nun die Märkte in Panik versetzen. Das Europäische Krisenmanagement ist selbst zum gefährlichen Krisentreiber geworden, während im fernen Asien die Japaner die Volatilität der Märkte ebenso vorantreiben. Es ist plötzlich allen klar geworden, wer anderen Nationen vorschreiben kann auch die letzten Sicherheiten in einen absackenden Markt hinein zu verkaufen, der wird dies auch bei jedem Bürger bei Bedarf erzwingen, um die Bankenkolosse zu retten oder Elitenkompatibel abzuwickeln. So gibt es keine Sicherheiten mehr, denn um Fiat Money selbst vor der Hyperinflation zu schützen, müssen den Anlegern zuerst der Geschmack für jede andere Form von Anlagen ausgetrieben werden. Doch das wird letzten Endes das System nicht mehr retten, am wahrscheinlichsten wird doch eher der allgemeine Default im kapitalen Katzenjammer mit Notrecht, in welchem die unfähigsten Politiker seit mehreren Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten versuchen den verrückt gewordenen Kapitalismus zu retten -vielleicht holen sie wie Gerüchte besagen Rat im kalten Grabe der verstorbenen Margaret Thatcher.
ebo
13. April 2013 @ 00:22
@Andres Tja, erst die Sparer, nun die Goldanleger, morgen vielleicht die Immobilienbesitzer… vor Schäuble & co. ist nichts mehr sicher, es sei denn, es steht bzw. liegt in den Geberländern, insbesondere in D, NL und FIN. Dijsselbloem hat sich gerade erst einen Aufschub beim Sparen gewährt, dabei sind die NL selbst in einer gefährlichen Immobilien- und Bankenkrise gefangen und bedürften – wenn die „Retter“ ihre eigenen Regeln ernst nähmen – einer Schäuble’schen Strukturreform…
Melina
12. April 2013 @ 19:02
Richtig, Styx!
Die aktive Sterbehilfe für Griechenland und Portugal wirkt wohl zu langsam. In Zypern macht man das jetzt ein wenig schneller.
Johannes
12. April 2013 @ 18:40
Zum ersten Mal in der Geschichte des Euros müssen nicht die Steuerzahler ran, um Pleitebanken zu retten, sondern diejenigen, die jahrelang von den überzogenen Zinsen profitiert haben. Endlich, wer die Gewinne macht, muss auch die Verluste tragen, es war höchste Zeit, dass man endlich aufhört alles und jeden mit fremden Steuergeldern zu retten. Das Geschäftsmodell war anti-europäisch genauso wie Hungerlöhne in Deutschland in der Fleischindustrie. Das hier dieses perverse System verteidigt wird (so kommt es mir jedenfalls grade vor), finde ich schockierend. Lobbyarbeit für Banken, Gewinne in die privaten Taschen, Verluste auf die Steuerzahler anderer Länder abwälzen? Nein, gut das an Zypern „experimentiert“ wurde. Zu den Zahlen, ich erwarte beim Thema Euro nichts anderes mehr als Betrug, das ist eben Europa mit der Schuldenunion (die ich nicht wollte). Wer glaubt denn jetzt noch daran, dass es mit Euro-Bonds plötzlich ehrlicher zu geht? Bitte Namen und Kommentare, ich meine die letzte Frage ernst!
ebo
12. April 2013 @ 20:41
@johannes So offensichtlich wie diesmal war der Betrug noch nie. Es ist einfach unredlich, von „Rettung“ zu sprechen, wenn der Gerettete mehr als die Hälfte der Hilfe selbst zahlt, obwohl er pleite ist. Deutschland & Co. zahlen nur genau so viel, wie nötig ist, um ihre eigenen Investitionen in Zypern zu „retten“. Bin mal gespannt, ob SPD und Grüne dazu auch noch Beifall klatschen …
alex
14. April 2013 @ 03:59
Vielleicht zahlt man sogar erheblich wenger? Laut dieser Nachricht (Link: http://www.cashkurs.com/Detailansicht.80.0.html?&cHash=aa05ebd0ed2c40534a231241cdf87db9&tx_t3blog_pi1%5BdaxBlogList%5D%5BshowUid%5D=13827) gibt es wohl einen guten Grund, warum die „Rettungsaktion“ so lange (der offizielle Antrag wurde bereits im Juni 2012 gestellt) verschleppt wurde … einige Banken aus der Kern-EU mit Insiderinfos konnten so wohl noch einen grossen Teil ihrer Anlagen retten, die ihnen zuvor viele Jahre fette Gewinne eingebracht hatten.
Zynismus pur.
Styx
12. April 2013 @ 17:16
Das ist keine SchockTHERAPIE, sondern Raubmord.