“Barnier versteht den Brexit nicht”
Für wen spricht N. Farage? Seit seinem Rücktritt bei der EU-feindlichen UKIP ist der Brite nur noch einfacher Europaabgeordneter. Dennoch schwingt er sich nun zum Sprecher der Brexiters auf.
Farage besuchte am Montag die EUKommission und sprach mit Brexit-Verhandlungsführer Barnier. Danach fällte er ein vernichtendes Urteil: “Barnier versteht den Brexit nicht!” Zitat aus “Politico”:
“Mr. Barnier clearly did not understand why Brexit happened. I left with the impression that it has not been previously explained to him that the Brexit vote was primarily about controlling mass immigration and democratic self-determination,” Farage said in an official statement after the meeting, which lasted about 40 minutes.
Das ist interessant, denn Farage könnte in einer Hinsicht durchaus Recht haben. Kurz vor dem Brexit gab es nämlich die deutsche Grenzöffnung und den Massenzustrom von Flüchtlingen.
Das trieb Farage und seinen Brexiters massenhaft “Nein”-Sager zu – wurde von der EU aber immer ignoriert. In Berlin und Brüssel tat man immer so, als habe das eine mit dem anderen nichts zu tun.
Allerdings hat auch Farage ein Problem – denn er versteht die EU nicht. Offenbar hat er geglaubt, das Austritts-Referendum werde Großbritannien über Nacht von allen EU-Pflichten befreien.
Stattdessen könnte es nun noch bis Ende 2020 dauern, bis die Briten tatsächlich auf eigenen Beinen stehen. Bis dahin müssen sie in die EU-Kasse zahlen, ohne mitzubestimmen…
Kleopatra
15. Januar 2018 @ 12:51
Eine Mehrheit für den Austritt aus der EU setzt sich aus mehreren Anteilen zusammen. Es gab seit langem einen Anteil von – sagen wir mal – 40%, die sehr EU-kritisch bis feindlich waren, aber unter normalen Umständen hätte man mit einer deutlichen Mehrheitgegen den Austritt rechnen könnnen; und dann wäre klargestellt gewesen, dass eine Mehrheit in der EU bleiben will und daher bestimmter Ideologen eine laute Minderheit sind. Die “Merkelsche Flüchtlingspolitik” hat in den meisten EU-Ländern die politische Stimmung in Größenordnungen von mindestens 10% verschoben, und das hat die britische Abstimmung wohl kippen lassen.
Probleme mit EU-Immigration ergaben sich, weil die Regierung Blair hier nie eine Übergangsregelung wollte und britische Arbeitgeber über die Konkurrenz für Einheimische erfreut waren. Heute tut es Blair leid, aber das ist wohl zu spät.
Was rechtliche Bindungen betrifft: wenn nicht ein anderslautender Austrittsvertrag abgeschlossen wird, endet die Anwendbarkeit der EU-Verträge auf GB mit Ende März 2019. Und auch alle Beitragsverpflichtungen sind ja doch auf die Verträge gegründet, die dann nicht mehr gelten.
Oudejans
8. Januar 2018 @ 17:57
Ich bin für eine Flugverbotszone über London und Südengland ab dem 30. März 2019, null Uhr GMT.
Dann ist Feierabend.
Oudejans
8. Januar 2018 @ 17:58
… versteht sich @
“Offenbar hat er geglaubt, das Austritts-Referendum werde Großbritannien über Nacht von allen EU-Pflichten befreien.”
Oudejans
8. Januar 2018 @ 22:31
Nemschak, was wäre eigentlich polophober (nicht im Sinne des KdF-Wagens) oder polskophober – die Auffassung, Leistungswilligkeit und -fähigkeit innerhalb Polens auszuüben, wäre eine Strafe, oder wäre keine Strafe und daher potentiell wünschenswert (oder im Horizont Ihrer Äußerung: zumutbar)? Angesichts der Gesundstoßung der britischen Wirtschaft an Billigkräften kann man den “britischen” Polen nur wünschen, möglichst große Lohnanteile in ihre Heimat zu überweisen, derweil die polnische Ernte von Swoboda eingebracht wird… EU? Läuft…
Peter Nemschak
9. Januar 2018 @ 19:16
Hätte sich die Reise der polnischen Arbeitskräfte nach Großbritannien für diese nicht gelohnt, wären sie nicht hingefahren.
Peter Nemschak
8. Januar 2018 @ 17:22
Ängste der britischen Bevölkerung betreffend Immigration gab es schon lange vor der Masseneinwanderung 2015. Sie bezogen sich damals auf die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU. Farage hat nicht den Funken einer Glaubwürdigkeit. Man sollte ihm keine mediale Bühne bieten sondern ihn einfach in der Versenkung verschwinden lassen. Noch ist der BREXIT nicht passiert. Ob und unter welchen Bedingungen er passieren wird, steht in den Sternen. Corbyn ist die EU egal. Ihm geht es ausschließlich darum, die Tories von der Macht zu verdrängen, um sein paläosozialistisches Programm verwirklichen zu können. Die Konjunktur im UK zeigt bereits Schwächen.
ebo
8. Januar 2018 @ 18:47
Sorry, ich war eine Woche vor dem Brexit-Referendum in London, die Massenmigration nach Deutschland war DAS Thema. Ein Jahr zuvor bezogen sich die Ängste vor allem auf die polnischen Einwanderer, die Blair ins Land geholt hatte – doch auch der hat das bis heute nicht verstanden…
Peter Nemschak
8. Januar 2018 @ 20:49
Ohne die Einwanderer aus Osteuropa hätte England nicht ausreichend qualifizierte Mitarbeiter in der Bauwirtschaft oder im Tourismus. Es geht doch darum, unter entsprechenden Rahmenbedingungen (z.B. Mindestlohn) einen fairen Wettbewerb zuzulassen, nicht diesen einzuschränken. Warum sollen Leistungswilligkeit und -fähigkeit bestraft werden? Warum wollen Sie Europa nivellieren und das Feld aufstrebenden Wirtschaftsmächten auf der Welt überlassen? Das wäre kurzsichtige Bequemlichkeitsdemokratie zu Lasten zukünftiger europäischer Generationen. In Ihren Augen ist alles, was nach Anstrengung klingt, neoliberal.
Freiberufler
9. Januar 2018 @ 15:26
Der Zweck der Personenfreizügigkeit besteht darin, der Wirtschaft in den Hochlohnländern eine unerschöpfliches Reservoir an billigen Arbeitskräften zur Verfügung zu stellen. Auf altmodischem demokratischen Wege hätte man das wahrscheinlich nie durchsetzen können.
Jürgen Klute
8. Januar 2018 @ 17:15
Nun, die Personenfreizügigkeit einzugrenzen in der EU während die Freizügigkeit von Kapital, Waren und Dienstleistungen weiterhin uneingeschränkt besteht, wäre eine EU, in der nur noch Wirtschaftsinteressen eine Rolle spielen. Das ist doch offenbar das Interesse von UKIP und Co. Ein solches Modell der Herabstufung von Bürgerinnen und Bürger kann doch nun niemanden mehr überzeugen.
Und Farge’s Verständnis von Souveränität ist doch ein Konzept, dass mit dem Faschismus zum Glück sein Ende gefunden hat. Das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Staates findet seit 1948 aus guten historischen nun mal seine Begrenzung in den internationalen Menschenrechten.
ebo
8. Januar 2018 @ 18:53
@Jürgen Klute Offen gestanden habe ich meine Zweifel an diesen Grundfreiheiten. Denn sie stoßen nicht nur in UK, sondern auch in der Schweiz an ihre Grenzen, selbst in Deutschland wird die Freizügigkeit von Personen zunehmend eingeschränkt (Grenzkontrollen, Schikanen für Griechen etc.) Ich hätte kein Problem damit, die wirtschaftlichen Freiheiten in gleichem Maße wie die Personenfreizügigkeit einzuschränken, wenn UK dies wünscht. Aber das lässt das neoliberale Dogma von der “Einheit der Grundfreiheiten” nicht zu…
Jürgen Klute
8. Januar 2018 @ 20:01
@ebo Selbstverständlich kann man und muss man auch politisch über die Grenzen von Freiheiten reden. Im Blick auf Farage ist aber doch festzuhalten, dass er die Personenfreizügigkeit für das Problem schlechthin hält. Die ökonomischen Freiheiten sieht er ja nicht kritisch. Das zeigt mir, dass es Farage nicht um Bürgerinteressen geht. Wirtschaftliche Interessen stehen für Farage vor den Interessen von Bürgerinnen und Bürgern.