„Austerity rebels“ schlagen Föderalisten
Mit seinem Vorstoß für die „Vereinigten Staaten von Europa“ hat SPD-Chef Schulz wenig Begeisterung ausgelöst. Kanzlerin Merkel hat sich prompt dagegen ausgesprochen, die Mehrheit der Medien (natürlich?) auch.
Dabei sind die „USE“ seit 1925 im SPD-Parteiprogramm enthalten. Nach dem 2. Weltkrieg hat sich sogar Churchill dazu bekannt. UK werde allerdings nicht mitmachen, sagte er – der Brexit macht’s möglich!?
Doch obwohl Deutschland selbst ein Bundesstaat ist und traditionell immer der föderalistischen Vision von EUropa verpflichtet war, stößt Schulz auf Ablehnung. Offenbar haben sich die Fronten verkehrt.
Heute ist es nämlich Frankreichs Macron, der am vehementesten für ein föderales Europa plädiert – dabei war Frankreich traditionell immer dagegen! Möglich wäre dies aber nur durch eine Neugründung.
Denn die EU, die wir heute haben, eignet sich schlicht nicht für eine Föderation. Brüssel greift schon viel zu tief in die Belange der Staaten ein – mit der geplanten Euro-Reform dürfte es noch schlimmer werden.
Für viele Leser dieses Blogs ist das denn auch das Hauptproblem. Jeder Dritte bezeichnet sich als „Austerity rebel“, der Schluß mit dem Sparkurs von Schäuble & Co. machen möchte.
Dies geht es der Umfrage hervor, die sich an eine Studie des britischen Thinktanks „Chatham House“ anlehnt. Die Experten haben die Einstellungen zur EU in mehrere „Stämme“ unterteilt.
Nach Föderalisten wurde dabei übrigens auch gefragt. Und siehe da – immerhin elf Prozent der Leser dieses Blogs sprechen sich für eine USE aus. Ihnen zumindest dürfte Schulz‘ Vorstoß gefallen.
Viel mehr – jeweils 21 Prozent – sind jedoch frustriert: Entweder, weil ihnen die ganze EU nicht passt, oder weil sie den (von Merkel verteidigten) Status Quo ablehnen und mehr Demokratie & Soziales wünschen.
Die Umfrage steht unten, per Mausklick kann man die Ergebnisse sehen.
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Baer
11. Dezember 2017 @ 08:26
Ich kann nur Konrad Adenauer,oder war es Helmut Schmidt zitieren:“ wer Visionen hat muss zum Arzt „.
Ich befürchte nur dass es zu wenige Ärzte gibt.
Peter Nemschak
10. Dezember 2017 @ 19:59
@ebo Wenn Sie meinen mehr und gleichzeitig weniger Supranationalität bin ich bei Ihnen. Der Kampf darum wird heftig werden
Kleopatra
10. Dezember 2017 @ 14:48
Eins fällt mir noch auf: Schulz beruft sich ja nicht umsonst auf eine Idee der SPD von 1925. Ich habe den Eindruck, dass die Idee der Vereinigten Staaten von Europa in Deutschland besonders populär war, weil man so nach den beiden Weltkriegen, als man als Nationalstaat nicht sehr beliebt war oder sich jedenfalls so fühlte, die Möglichkeit hatte, sich um ein Bekenntnis zum eigenen Staat durch die Forderung nach seinem Aufgehen in einem großen Ganzen zu drücken. Das Problem ist natürlich, dass kein anderer EU-Staat das unterschwellige Gefühl hat, er habe den Zweiten Weltkrieg (und den Ersten) in verwerflicher Weise begonnen; für sie ist der Zweite Weltkrieg meistens der verdiente Sieg ihres Nationalstaates über die Kräfte des Bösen. Für uns hat der Nationalstaat für das Böse, für anderen hat er für das Gute gekämpft; und deshalb ist die Forderung nach seiner Abschaffung so unterschiedlich populär bzw. unpopulär.
Peter Nemschak
10. Dezember 2017 @ 17:42
Bisher kommt die Forderung nach Abschaffung des Nationalstaates von teilen der Elite aber nicht von den Bürgern. Solange es keine echte europäische Öffentlichkeit gibt ist die Bildung der Vereinten Staaten von Europa auf kleine Schritte angewiesen. Derzeit sind viele mit der europäischen Integration unzufrieden, ein Ausscheiden aus der Union ist, vor allem nach dem BREXIT-Referendum, vermutlich derzeit nicht mehrheitsfähig. Das wissen auch die Rechtspopulisten.
ebo
10. Dezember 2017 @ 18:09
Schulz hat nicht gesagt, dass er die Nationalstaaten abschaffen will. In den USA bestehen die Bundesstaaten auch alle weiter. Wir sind uns aber einig, dass die gegenwärtige EU keine geeignete Basis für eine USE bildet. Sie ist zum Ärgernis und zum Hindernis für jede ehrgeizige Reform geworden.
Kleopatra
10. Dezember 2017 @ 19:19
In den USA bestehen die Einzelstaaten weiter, aber eben nicht als Nationalstaaten. Ich habe auch nur eine Deutung des Umstandes versucht, dass nach meinem Eindruck nur in wenigen EU-Staaten, darunter vor allem Deutschland, solche Vorschläge überhaupt eine gewisse Popularität genießen. Ich halte die bestehende EU nicht für eine schlechte Sache, befürchte aber, dass Schulz o.ä. sie mit solchen spinnerten Ideen kaputtmachen, ohne jedoch einen Ersatz für sie schaffen zu können.
Kleopatra
10. Dezember 2017 @ 14:37
Was ich inakzeptabel finde, ist Schulz’ Vorstellung, wem sein Plan nicht passt, der solle doch die EU verlassen. Da die Verträge eine Möglichkeit, anderen Mitgliedern als Deutschland den Austritt aufzuzwingen, nicht vorsehen, läuft es darauf hinaus, dass er diejenigen, die mit ihm nicht konform gehen, aus der EU hinausmobben will. Die Idee, eine EU-Verfassung in jedem Mitgliedstaat zur Abstimmung zu stellen und nur diejenigen weitere als EU-Mitglieder zu akzeptierten, die sie annehmen, ist alt und wurde schon vor Jahren von Daniel Cohn-Bendit ventiliert, aber sie scheint mir vor allem von spätpubertärem Großsprechertum zu zeugen, sowie von der maßlosen Enttäuschung über die Ablehnung des Verfassungsvertrags in Frankreich. Da ich übrigens nicht annehme, dass Schulz in einem solchen Fall seine VSE ohne Frankreich gründen wollte, würde es auch darauf hinauslaufen, dass manche Staaten das Recht haben,. die Verfassung abzulehnen, und andere nicht. Alles Argumente, die zeigen, dass Schulz’ Vorschlag schlecht durchdacht ist, jedenfalls soweit es seine Chancen in anderen Staaten betrifft. Insofern sieht man daran, dass es Schulz vor allem um den Beifall im eigenen Land, vor allem in der eigenen Partei ging; denn über die Stimmung in anderen EU-Staaten sollte gerade er mit seinen Erfahrungen Bescheid wissen.
felinette
10. Dezember 2017 @ 12:07
Gar nicht so einfach, diese Umfrage. Ich würde die VSE zwar sehr begrüßen, aber zuvor müsste die EU gründlich erneuert werden: Ich will mir eine Föderation ohne ein Parlament, das den Namen verdient, nicht vorstellen, auch nicht ohne Transparenz und ohne echte Demokratie. Aber es müsste doch hinzukriegen sein: Mehr Solidarität, weniger Austerität (die ja nix hilft), mehr Empathie, weniger Bürokratie…man wird ja wohl nochmal träumen dürfen…
Peter Nemschak
10. Dezember 2017 @ 12:33
Was ist echte Demokratie für Sie? Für mich: eine Regierung, die einem gewählten Parlament politisch verantwortlich ist und von diesem jederzeit abgewählt werden kann.
Anton Vogel
10. Dezember 2017 @ 08:34
Das viele die „USE“ ablehnen ist nicht verwunderlich. Hat sich doch die EU in den letzten Jahren immer mehr zum diktatorisch – bürokratischen Monster , zu einem Vereine abgehalftertr Politiker lieber und Lobbyisten entwickelt. Und Deutschland hat daran einen großen Anteil. In der Form wie die EU im Moment existiert, ist ein Förferslistisches Staatengebilde schlecht weg unmöglich zusammen zu schmieden. Auch wenn Visionär Schulz das gern und sich selbst als USE Präsident sehen würde. Und Merkel ist wohl deshalb dagegen, weil sie als Präsidentin chancenlos wäre …. ! ? ? ?
Peter Nemschak
10. Dezember 2017 @ 08:20
Angesichts der boomenden Wirtschaften in den EU-Ländern ist Austerity zum leeren Begriff geworden. Die in den staatlichen Budgets eingebauten Automatismen lassen gemeinsam mit der demografischen Entwicklung (Überalterung der Bevölkerung) die Staatsschulden weiter steigen. Ich bezweifle, ob Austerity Rebels derzeit insgesamt repräsentativ für unsere Gesellschaften sind.
ebo
10. Dezember 2017 @ 10:15
@Nemschak das ist ja gerade die Crux mit der „Economic Governance“: Sie verordnet Staaten wie Italien, Frankreich, Belgien, aber auch Österreich, den Gürtel immer enger zu schnallen. Je höher das Wachstum, desto geringer soll das „strukturelle“ – um Wachstumseffekte bereinigte – Defizit ausfallen. Macron hat gerade milliardenschwere Sondersteuern auf die Unternehmen erlassen, um diese absurden Regeln zu erfüllen.
Peter Nemschak
10. Dezember 2017 @ 12:30
Faktum ist, dass der Ermessensspielraum bei den staatlichen Budgets durch faktisch nicht steuerbare jährliche Mehrausgaben gering ist. Dazu gehören Ausgaben für Gesundheit, Renten, Klimaschutz etc. Eine Reform dieser Systeme benötigt wegen des Vertrauensschutzes einen langen Vorlauf und wird, weil politisch schwer durchsetzbar, auf die lange Bank geschoben. Das probate Mittel für das Nichtreformieren ist eine großzügige Neuverschuldung und damit eine Erhöhung des Staatsanteils am Sozialprodukt. Statt Diesel zu subventionieren, könnte man, um ein Beispiel zu nennen, mehr Geld in die Bildung stecken. Mehr Medienkompetenz bei den Bürgern würde einen kritischeren Umgang mit fake-news fördern. Die politische Stärke der EU fällt nicht vom Himmel sondern geht von ihren Mitgliedern aus.