Auf Schmusekurs

Ganz Europa empört sich über den britischen Premier Cameron. Ganz Europa? Nein, im öffentlichen Getöse um Camerons Europarede und die britische Ausstiegsdebatte sind ein paar nachdenkliche Zwischentöne untergegangen.

Angela Merkel zum Beispiel. Mit keinem Wort hat sie Cameron verurteilt. Während ihr Außenminister Westerwelle vor „Rosinenpicken“ warnte, erklärte sich die Kanzlerin bereit, „sehr intensiv“ über die „britischen Wünsche“ zu sprechen.

Ausdrücklich begrüßte sie Camerons Vorstoß zur Wettbewerbsfähigkeit. Auch beim Weltwirtschaftsforum in Davos fand sie kein kritisches Wort, wie die „SZ“ meldet. Empörung sieht anders aus.

Oder José Manuel Barroso. Der EU-Kommissionschef lässt normalerweise keine Gelegenheit aus, sich ins Rampenlicht zu drängen. Doch zu Cameron: nichts. Keine politische Reaktion aus Brüssel, nur ein paar diplomatische Worte der Behördensprecherin.

Oder auch Marc Rutte: Der niederländische Premier lobte Camerons „starke Rede“, die gute Reformideen enthalte. Seine Regierung werde nun prüfen, welche Kompetenzen aus Brüssel zurück an die EU-Staaten verlagert werden könnten.

Genau diesen „Rückbau“ der EU hatte Cameron gefordert. Rutte warnte zwar vor neuen britischen „Opt-Outs“. Doch eine harte Abfuhr war das nicht.

Das ist kaum verwunderlich. Denn zum einen stößt Camerons Kritik an der angeblich mangelnden Wettbewerbsfähigkeit und der überbordenden EU-Bürokratie in Brüssel auf offene Ohren.

In Berlin rennt der Brite sogar offene Türen ein; Merkel will die Wettbewerbsfähigkeit immerhin zum Thema der nächsten EU-Gipfel machen. Und für den Bürokratieabbau haben wir ja unseren Stoiber Edmund.

Zum anderen treibt die EU-Chefs die blanke Angst. Sie sorgen sich nicht nur, dass andere dem Beispiel Camerons folgen und Volksabstimmungen zu EU-Themen ansetzen könnten.

Sie fürchten auch, dass ein möglicher Austritt Großbritanniens, der „Brexit“, eine Kettenreaktion auslösen könnte. Schweden, Dänemark, vielleicht sogar die Niederlande könnten dem britischen Beispiel folgen, die EU würde noch mehr geschwächt.

Und so bemühen sich nun die EU-Granden, Cameron zu besänftigen. Ob der Schmusekurs dazu führt, dass die britischen Forderungen erfüllt werden, ob die EU zurückgebaut und der Sozialstaat geschwächt wird, bleibt abzuwarten.

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos konnte man schon den Eindruck haben, dass sich da eine neoliberale Offensive zusammenbraut. Doch die „world leader“ müssen nicht das letzte Wort behalten.

Viel wird davon abhängen, ob sich nun auch die Anhänger eines sozialen und demokratischen Europa zu Wort melden und ihrerseits Reformen fordern. Cameron hat ein Tabu gebrochen, nun gilt es das Ende der Denkverbote zu nutzen.

Schließlich hat Cameron auch das Demokratiedefizit in der Union und die verheerende Sparpolitik in Südeuropa angesprochen. Und er hat eine Debatte über die Zukunft der Eurozone angemahnt (siehe „Wo Cameron recht hat“).

Auch diese Themen gehören auf die Tagesordnung. Letztlich betreffen sie uns Kontinentaleuropäer weit mehr als die Insulaner…

P.S. Jetzt geht auch EU-Parlamentspräsident Schulz auf Schmusekurs. Er wäre „sehr erfreut“, wenn Cameron seine Ideen den MEPs präsentieren würde, sagte der deutsche Sozialdemokrat. Torys und UKIP-Leute dürfen sich freuen…

(Siehe zu diesem Thema auch: „Unsere Merkel-Follower“)