Ein Kommissar spricht Klartext

Die Eurokrise war von Anfang an in Konstruktionsmängeln der Währungsunion angelegt, die Folgen müssen jetzt die Arbeitnehmer ausbaden: So spricht kein Eurokritiker, sondern EU-Soziakommissar Andor. Leider zieht er nicht die nötigen Konsequenzen.

Die ungewöhnlich schonungslose Analyse stand in einem Bericht zur Sozialpolitik, den Andor Ende Januar vorlegte. Hier die entscheidenden Passagen:

Der jüngste Bericht verdeutlicht, wie die Saat für die heute bestehenden Ungleichheiten bereits in den frühen Jahren des Euro gelegt wurde, als unausgewogenes Wirtschaftswachstum in einigen Mitgliedstaaten auf der Grundlage wachsender Verschuldung, die durch niedrige Zinsen und starke Kapitalzuflüsse noch weiter getrieben wurde, oft mit einer enttäuschenden Entwicklung der Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit einherging.

Ohne die Möglichkeit einer Währungsabwertung müssen die Länder des Euroraums auf die interne Abwertung (Lohn- und Preismäßigung) zurückgreifen, um wieder Kostenwettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Diese Strategie hat jedoch ihre Grenzen und Nachteile – nicht zuletzt in Form höherer Arbeitslosigkeit und sozialer Härten – und ihre Wirksamkeit hängt von vielen Faktoren ab, wie der Offenheit der Wirtschaft, der Stärke der Auslandsnachfrage und der Existenz von Maßnahmen und Investitionen zur Förderung der kostenunabhängigen Wettbewerbsfähigkeit.

Im Klartext: Dem Euro fehlte von Anfang an eine Wachstumspolitik, und nun fehlt ein Mechanismus, der soziale Verwerfungen durch die „interne Abwertung“ zumindest mildert.

Schön, dass dies wenigstens der Sozialkommissar offen einräumt. Doch Andor schreckt vor den Konsequenzen zurück. Er fordert weder eine Abkehr von der Austeritätspolitik, die überfällig wäre.

Noch spricht er von einer gemeinsamen Arbeitslosenkasse oder anderen Transfermechanismen, die die Eurozone dringend zur Stabilisierung braucht.

Zwar hatte Andor Anfang 2013 einen Entwurf vorgelegt, in dem diese Instrumente immerhin noch angedacht waren. Doch sie wurden von Kommissionschef Barroso nach Rücksprache mit Merkel gestrichen.

Ob sie wenigstens im Europawahlkampf wieder auftauchen? Ich habe meine Zweifel…

Siehe auch „Letta spricht es aus“
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