Lindners Traum, Merkels Werk
Nach zwei Wochen Sendepause hat sich die angeschlagene Kanzlerin Merkel zu „Jamaika“ bekannt. Die Junge Union und die FDP mag sie damit begeistern – für die EU ist es eine Zumutung.
„Wenn sich Merkel mit den Liberalen verbündet, dann bin ich tot.“ Das soll Frankreichs Staatschef Macron schon vor der deutschen Wahl gesagt haben. Jamaika war da noch ein exotischer Traum.
Doch nun wird es – zumindest aus Pariser und Brüsseler Sicht – zunehmend zum europäischen Alptraum. Das liegt nicht nur an den Liberalen, die wichtige Forderungen Macrons zur Euro-Reform ablehnen.
Es liegt auch – und vor allem – an Merkel. Denn die Kanzlerin hat ihre europapolitische Linie ohne Not verhärtet. Deutsche „Grundprinzipien“ müssten eingehalten werden, sagt sie plötzlich.
„Wir wollen, dass Kontrolle und Haftung in einer Hand sind“, so Merkel auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Damit bekräftigt sie die rigide Schäuble-Doktrin für den Euro: Wer zahlt, schafft an!
Steilvorlage für Lindner
Zugleich bremst sie die Debatte über einen Euro-Finanzminister. „Ein Finanzminister wird dann eingesetzt, wenn ein Finanzminister notwendig ist.“ Heißt wohl: nur, wenn es gar nicht anders geht.
Das ist eine Steilvorlage für FDP-Chef Lindner und seine „fiskalpolitische Wende“. Die Liberalen können sich sogar noch auf ein vertrauliches „Nonpaper“ von Noch-Finanzminister Schäuble stützen.
Schäubles Vermächtnis
Darin hinterläßt der CDU-Hardliner sein europapolitisches Vermächtnis: Keine Vergemeinschaftung von Schulden, stärkere Kontrolle von fiskalpolitischen Risiken, Entmachtung der EU-Kommission.
Mit Macrons Visionen ist dies ebenso wenig vereinbar wie mit den Plänen von Kommissionschef Juncker. Der möchte seine Behörde weiter stärken, und keine Macht an den ESM oder sonst wen abgeben.
All das wäre noch kein Drama, wenn Merkel sich Macrons Maxime zu Herzen nehmen würde, keine „roten Linien“ zu ziehen, sondern neue „Horizonte“ zu eröffnen. Doch das tut sie nicht, im Gegenteil.
Merkels Maginot-Linie
Sie versucht, die europapolitische Debatte in deutsche Dogmen einzumauern und die französischen Vorstöße durch eine fiskalpolitische Maginot-Linie abzuwehren.
Nun wissen wir aus der Geschichte, was aus der Maginot-Linie wurde – ein Debakel. Und wir wissen aus der Dauerdebatte in den Talkshows, was von „Jamaika“ zu halten ist – herzlich wenig.
Stück aus dem Tollhaus
CDU und CSU haben es gerade wieder gezeigt. Ihr Scheinkompromiss um die „Obergrenze“ ist ein Stück aus dem Tollhaus. Liberale und Grüne können dazu eigentlich nur nein sagen.
Doch was passiert, wenn Jamaika platzt und Merkel keine eigene Mehrheit mehr zustande bringt? Ich denke, wir sollten schon einmal darüber nachdenken …
Siehe auch „Der liberale (Alp-)Traum“ und „Warum schont ihr Merkel?“
Foto: Natanaelginting – Freepik.com
Eder
12. Oktober 2017 @ 14:52
@ebo:
Ich freue mich sehr diesen Blog (schreibe absichtlich „diesen“) gefunden zu haben. Er gibt mir die Möglichkeit Einblicke in eine völlig andere Sichtweise zu nehmen.
Bitte erlauben Sie mir eine Frage.
Sie schreiben:
„Darin hinterläßt der CDU-Hardliner sein europapolitisches Vermächtnis: Keine Vergemeinschaftung von Schulden, stärkere Kontrolle von fiskalpolitischen Risiken, Entmachtung der EU-Kommission.“
Was ist daran denn schlecht?
Die Vergemeinschaftung von Risiken zerstört das Verantwortungsbewusstsein.
Kontrolle finanzpoliotischer Risiken ist wichtiger denn je.
Die völlig undemokratsiche EU Kommission hält sich nicht an ihre eigenen Regeln, insofern darf diese Behörde nicht noch mehr Macht bekommen.
HumanMind (@MartinR2D2)
10. Oktober 2017 @ 11:48
es sollte natürlich „gestaffelt“ heißen – blöde Tippfehler!
HumanMind (@MartinR2D2)
10. Oktober 2017 @ 11:47
Man sollte die EU vom Kopf auf die Füße stellen! Dem Gezerre um Haftung, Verantwortung und Kontrolle bei der Umverteilung von Geldern wäre doch glatt der Boden entzogen, wenn das Geld ZUERST an die Menschen ginge – und erst sekundär an Institutionen und Staaten, die es auf die eine oder andere Weise in den Sand setzen können, ohne dass ihren Bürgern irgendwie geholfen wäre.
Vor allem sind in der Regel die Bürger nicht für das Finanzgebahren ihrer Regierenden verantwortlich zu machen. Denn inhaltlich haben sie keine Mitbestimmung, können nur ab und zu andere Parteien wählen.
Beispiel Griechenland: Was wäre gewesen, wenn schon am Beginn der krisenhaften Staatsschuldenkrise eine verbindliche Sozialhilfe für alle Erwerbslosen eingeführt worden wäre? Griechenland ist nach meinen Infos das einzige EU-Land, das so etwas gar nicht hat. Deshalb das Gezerre um die Renten, von denen mehr Personen lebten als nur die Berechtigten.
Es sollte eine Angleichung der Sozialhilfe in den EU-Ländern geben (durchaus gestallelt nach Lebenshaltúngskosten im jeweiligen Land), die direkt von der EU auf ein EU-Konto jedes EU-Bürgers ausbezahlt wird.
Dann würde sich auch schlagartig die Haltung zur EU ändern, die dann eben nicht mehr nur als „Gemauschel derer da oben“ wahrgenommen würde. Und somit auch das Interesse an europäischer Politik und EU-parlamentarischer Mitbestimmung.
Von diesem Grund aus könnte dann alles andere nach und nach reformiert werden.
Eder
12. Oktober 2017 @ 14:56
„Es sollte eine Angleichung der Sozialhilfe in den EU-Ländern geben (durchaus gestallelt nach Lebenshaltúngskosten im jeweiligen Land), die direkt von der EU auf ein EU-Konto jedes EU-Bürgers ausbezahlt wird.
Dann würde sich auch schlagartig die Haltung zur EU ändern, die dann eben nicht mehr nur als „Gemauschel derer da oben“ wahrgenommen würde.“
Auf welches Niveau würden Sie die Sozialhilfe denn gerne anpassen und wie möchten Sie dies finanzieren?
Kleopatra
8. Oktober 2017 @ 21:03
Ich fürchte, die einzige Möglichkeit für andere EU-Staaten besteht darin, eine Politik zu betreiben, die von Deutschland nicht genehmigt zu werden braucht. Die Finanzbeziehungen sind so weitgehend in Verträgen (innerhalb und außerhalb der EU-Verträge) fixiert, dass Deutschland immer die Option hat, einer Änderung einfach nicht zuzustimmen. Es kann auch keine deutsche Regierung eine grundsätzliche Änderung genehmigen, weil die Währungsunion der deutschen politischen Öffentlichkeit mit heiligen Schwüren auf bestimmte Prinzipien verkauft wurde. Es ist schwer zu raten, aber auf eine Zustimmung einer deutschen Regierung zu einer Änderung der vertraglich geregelten Struktur der Währungsunion sollte niemand spekulieren. Francois Hollande hatte 2012 die einmalige Gelegenheit, den Fiskalpakt durch Nichtratifikation platzen zu lassen; er hatte dies auch fast im Wahlkampf versprochen, war dann aber doch zu feige dazu.
Winston
8. Oktober 2017 @ 19:40
Interessant ist das die Schuldenobergrenze nur für Staatsschulden gilt aber nicht für den eigentlichen Auslöser der Euro-Krise, die Auslandsschulden. 2+2 zusammenzählen dann weis man warum.
Macron wird imho schlimmer enden als Hollande, Wer ja zum Euro sagt, muss auch ja zu Reformen, sprich Agenda 2010, sprich innere Abwertung sagen. Da führt kein Weg vorbei, auch für Macron nicht. Die Kürzungen werden dauerhaft sein, während die Preise stabil bleiben, bis das ganze Konstrukt implodiert oder Europa endet in eine Diktatur. Habe ein sehr ungutes Gefühl.
Peter Nemschak
8. Oktober 2017 @ 16:05
Haftung und Kontrollmöglichkeit gehören zusammen. Sonst entsteht Verantwortungslosigkeit. Falsch ist das Prinzip: „um Ihr Geld ist mir nichts zu teuer.“ Die Verteilung von Verantwortung auf viele Schultern schwächt diese. Besser wären Reformen dergestalt, dass derjenige, der eine Fehlentscheidung trifft, auch für die Folgen zu haften hat. Das schärft das Verantwortungsbewusstsein. Die Finanzkrise 2007/2008 wäre uns damit vielleicht erspart geblieben.
Oudejans
8. Oktober 2017 @ 18:30
>>“Besser wären Reformen dergestalt, dass derjenige, der eine Fehlentscheidung trifft, auch für die Folgen zu haften hat.“
Besser kann man es doch gar nicht ausdrücken.