Alles für Cameron/Farague
Der Sonder-EU-Gipfel nach der Europawahl ist ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Ratspräsident Van Rompuy soll mit dem EU-Parlament in Verhandlungen treten – doch worüber? Kanzlerin Merkel & Co. legten sich nicht einmal auf den Wahlsieger Juncker fest – mit Rücksicht auf London.
“Ernüchternd bis erbärmlich” sei dieser Ausgang, sagte Luxemburgs Außenminister Asselborn. Vermutlich ärgert er sich nicht nur, dass die Chefs seinen Landsmann und Ex-Premier Juncker hängen ließen.
Sondern auch, dass die Sozialisten, als gute Demokraten und treudumme EU-Freunde, schon gestern grünes Licht für Juncker gegeben hatten, ohne harte Bedingungen zu stellen.
Denn ausgerechnet Junckers EVP, der Wahlverein von Merkel, spielt nicht mit. Wie erwartet, hatte der britische Premier Cameron Widerstand organisiert. Er will Juncker verhindern – um jeden Preis.
Dahinter steht nicht zuletzt UKIP-Führer Farague, der sich noch am Wahlabend über die europäischen Spitzenkandidaten lustig gemacht hatte. Cameron folgt ihm in dieser Frage aufs Wort.
Doch warum stellt sich Merkel nicht offen und offensiv hinter Juncker? Weil es um die Macht geht. Der Rat hat es schon geschafft, die Kommission zu domestizieren. Nun ist das Europaparlament dran.
Außerdem ist Cameron seit einigen Monaten Merkels engster Verbündeter in der EU. Gemeinsam haben sie schon das EU-Schrumpfbudget durchgeboxt – gegen erbitterten Widerstand des Parlaments.
Muss man noch erwähnen, dass niemand diese Wahl deutlicher verloren hat als Cameron? Und dass London versucht, die EU auf eine Freihandelszone ohne soziale und demokratische Rechte zu reduzieren?
Im (un-)heimlichen Bündnis mit Farague und Merkel könnte es ihm am Ende noch gelingen…
Siehe zu diesem Thema auch meinen Hintergrund auf telepolis: “Machtkampf um die EU-Kommission” sowie den Blogpost “Neoliberales Rollback”
fufu
29. Mai 2014 @ 14:22
Herr Nemschak, nicht dass Sie mich missverstehen ich bin nicht vom Saulus zum Paulus geworden :-). Ich unterstuetze die Front National 100%ig, wie alle Kraefte die gegen die EU eintreten (vielleicht ausser Alba Dorata).
Peter Nemschak
29. Mai 2014 @ 09:43
@swisstraders Jeder kann abstimmen… Wie wollen Sie die Kompetenzen messen? Das bis zu Beginn des 20.Jhdts. geltende Zensuswahlrecht war auch keine befriedigende Lösung, da es nicht alle Interessen berücksichtigte. Ich bin sicher, dass die meisten konservativen Wähler sich nicht mit der Person Junckers beschäftigt haben, sondern von einer Stimmungslage, die ihnen oft selbst nicht bewusst war, geleitet waren. Wer sich im nachhinein mit der Person Junckers beschäftigen will, dem sei das Interview, das Roger de Weck mit ihm in der Sendung Sternstunden Philosophie auf http://www.sfr.ch am 17.2.2008 (!) geführt hat, empfohlen. Es sollte 6 Jahre danach wiederholt werden. Hat sich für Junckers in der Zwischenzeit etwas in seiner Einschätzung geändert?
fufu
28. Mai 2014 @ 14:11
@Andres Mueller
“Damit trifft sich auf absurde Weise das offenbarte Bedürfnis Merkels bis Faragues mit jener von rechtsradikalen Kräften, etwa Frankreichs Nationaler Front”
Letzteres habe ich nicht verstanden, die Front National ist doch sozialer als die SPD, Sie muessen nur das Parteiprogramm lesen. Ob dies auch finanzierbar ist ist eine andere Frage.
Peter Nemschak
29. Mai 2014 @ 09:49
Jedenfalls “nationalsozialer”. Finanzierbar schon, aber auf welche Kosten und unter welchen Bedingungen? Ich empfehle Ihnen die diesbezüglichen Studien von Götz Aly zum Thema “Volksstaat”.
Swisstraders
28. Mai 2014 @ 11:09
Dieser (rechts links) rutsch im Europa Parlament wird nicht allzu große Konsequenzen haben. Die bestehenden EU Strukturen werden auf Teufel komm raus ihre Interessen weiter verfolgen da sie nach wie vor die Mehrheit inne haben. Innenpolitisch sieht es etwas anders aus zumindest GB, Frankreich und Griechenland. Sobald das EU Parlament steht wird Griechenland einen Schuldenschnitt gewährt ansonsten läuft die Geschichte komplett aus dem Ruder. GB wird eine spezielle Regelung erhalten ansonsten kann sich Cameron verabschieden. Und zu guter Letzt Frankreich wird sich mit oberflächlichen Phrasen von Wirtschaftsförderung bis zu den nächsten Wahlen schummeln. Fakt bleibt der gesamte EU Raum ist pleite und es ist nur eine Frage der Zeit bis wir die Rechnung präsentiert bekommen.
Dann werden die Pläne des IWF umgesetzt und 10% des gesamten Vermögens als Bail in an die Banken weitergeleitet. Zypern lässt grüßen.
Andres Müller
28. Mai 2014 @ 10:37
Cameron und Merkel mit ihrem sozialdarwinistischen -aber ansonsten eher antipodischen Taktstock geben die Richtung vor in welche die EU hinein treibt. Gemeinsamer Nenner davon ist – die EU sollte nichts aber auch gar nichts (mehr) mit “Sozial” zu tun haben.
Damit trifft sich auf absurde Weise das offenbarte Bedürfnis Merkels bis Faragues mit jener von rechtsradikalen Kräften, etwa Frankreichs “Nationaler Front”.
Fragt sich dann ob die Wähler nicht -wenn schon Diktatur- vielleicht schliesslich wie einst ca. 1932 solcherart schnauzige Originale wählen?
Peter Nemschak
28. Mai 2014 @ 12:19
Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte: von Sozialdarwinismus sind die EU und ihre Mitgliedsstaaten weit entfernt, ebenso vom sozialistischen Umverteilungsstaat, der nicht mehrheitsfähig ist. Als Schweizer sollte Ihnen das vertraut sein (siehe gescheiterte Mindestlohninitiative).
Swisstraders
28. Mai 2014 @ 18:36
Den Schweizern wird viel zu viel zugetraut. Die direkte Demokratie hat auch eine Schattenseite! Jeder kann abstimmen! Durch die fehlenden Kenntnisse über den Inhalt und deren Konsequenzen mangelt es immer wieder an Transparenz. Im Bundeshaus gehen die Lobbyisten ohne irgendwelche Kontrollen ein und aus. Auf den Punkt gebracht jeder Idiot kann abstimmen. Es sollte eine Wähler Prüfung geben. Jeder der die notwendigen Kompetenzen mit bringt, ist berechtigt zur Abstimmung.