Alle ruhig stellen
Nach dem Flop vom Juli versucht die EU erneut, ihre “Topjobs” zu besetzen. Am Samstag soll auf einem Sondergipfel ein neuer Ratspräsident und eine Chefdiplomatin gefunden werden. Ob man diesmal beschlussfähig ist?
Eins zur Klarstellung vorweg: Es geht nicht etwa darum, die Besten zu finden, also die erfahrenste Außenpolitikerin und den engagiertesten Ratspräsidenten.
Es geht auch nicht um die Bündelung von Interessen und Macht. Im Gegenteil: die Spitzenjobs werden meist dazu genutzt, Kraftlinien zu neutralisieren.
Es geht nicht ‘mal um Demokratie – die Chefs haben einen Horror vor Abstimmungen (siehe Juncker). Es geht darum, alle 28 EU-Staaten ruhig zu stellen.
Wieder ein Hinterzimmer-Deal
Beim letzten Mal war das nicht gelungen – auch wegen des Streits um Russland und die Ukraine. Italien hatte Außenministerin Mogherini nominiert.
Doch die Osteuropäer mauerten – die 41jährige sei zu unerfahren und zu Russland-freundlich. Inzwischen haben sie ihren Widerstand angeblich aufgegeben.
Der Grund für den Sinneswandel ist nicht nur Druck des italienischen Ministerpräsidenten Renzi. Er hält derzeit den EU-Ratsvorsitz und braucht dringend Erfolge.
Offenbar gibt es auch wieder einen Brüsseler Hinterzimmer -Deal. Als „Gegenleistung“ für das Ja zu Mogherini soll nämlich ein Osteuropäer den Chefposten im Rat übernehmen.
Im Gespräch sind der polnische Premier Tusk und der frühere lettische Ministerpräsident Dombrovskis. Es könnte allerdings auch die dänische Regierungschefin Thorning-Schmidt werden – sie wird von Berlin protegiert und hat den Vorteil, eine Frau zu sein.
Allerdings könnte die Eskalation in der Ukraine auch diesen Gipfel durcheinander wirbeln und das Personalkarussell aus dem fragilen Gleichgewicht bringen.
Zudem gibt esneue Vorstöße aus Berlin und Paris: Kanzlerin Merkel möchte den spanischen Wirtschaftsminister De Guindos zum neuen Eurogruppenchef machen, um ihre Hegemonie in Euroland zu untermauern.
Paris fordert Euro-Krisengipfel
Und Präsident Hollande fordert wegen der angespannten Wirtschaftslage in eben diesem Euroland einen Sonder-Euro-Gipfel. Offenbar reden beide aneinander vorbei, eine Einigung zeichnet sich nicht ab.
Im Gegenteil:Die Bundesregierung versucht sogar, Hollandes Kandidaten die für EU-Kommission, Ex-Finanzminister Moscovici, abzuschießen. Es kann also wieder heiter werden…
Siehe zu diesem Thema auch mein neues E-Book: “Wo sind eigentlich die Hinterzimmer in Brüssel?”
luciérnaga rebelde
29. August 2014 @ 18:13
Nur zur Information: de Guindos gehört dem Opus Dei an und betreibt in Spanien eine absolut reaktionäre Wirtschaftspolitik….
ebo
29. August 2014 @ 18:19
…also der ideale Kandidat für Merkel, die ihm ja wohl auf dem Jakobsweg die Absolution erteilt hat 🙂
Peter Nemschak
30. August 2014 @ 07:59
Ich bin absolut kein Anhänger von Opus Die und anderen religiösen Fundamentalismen, nur hat Spanien im ersten Halbjahr 2014 unter den großen EU-Ländern die höchste Wachstumsrate gehabt. Was war reaktionär in seiner Wirtschaftspolitik?
DerDicke
1. September 2014 @ 08:14
Einmaleffekt – Drogen, Schmuggel und Prostitution zählen jetzt mit dazu:
http://www.wochenblatt.es/1000003/1000000/0/32738/article.html
Außer natürlich, diese wachsen überdurchschnittlich (kann man ja optimistisch schätzen), dann steht 100 goldenen Jahren mit Wachstum nichts mehr im Weg.
Aber interessant, wie viele Menschen auf diesen Wachstumsschönrechentrick reinfallen. Spanien ist auf einem guten Weg….
Freiberufler
29. August 2014 @ 10:58
Wärend der Konflikt mit Russland eskaliert und die Wirtschaft abstürzt, widmet Europa seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Brüsseler Postenschacher.
Peter Nemschak
29. August 2014 @ 10:52
Wahlen sind nicht unbedingt eine Qualitätsgarantie. Auch Minderleistung wird lange toleriert und Parteien ohne nachgewiesene Kompetenz aus Protest gewählt. Solange keine direkt gewählten europäischen Parteien bestehen, wird die Kontrollfunktion des Europäischen Parlaments de facto eingeschränkt bleiben, auch wenn seine Rechte sukzessive erweitert werden.
Peter Nemschak
29. August 2014 @ 09:03
Sind die treffend beschriebenen Mechanismen nicht auch in der nationalen Politik relevant, insbesondere in föderal organisierten Staaten?
ebo
29. August 2014 @ 10:00
Durchaus, aber dort werden sie durch Wahlen und Leistungen legitimiert. Das ist in Brüssel nicht der Fall. Ich fürchte, auch das neue Spitzenpersonal wird enttäuschend ausfallen…