Ach so, es gibt einen „Sogeffekt“?
Die Flüchtlingspolitik hat es aus dem Wahlkampf zurück in die EU geschafft. Plötzlich ist auch EU-Parlamentspräsident Tajani für eine Angleichung der Asylleistungen. Und plötzlich sprechen alle vom „Sogeffekt“.
Das ist bemerkenswert, denn seit dem Herbst 2015 war genau dieser „Sog“ bestritten worden – in Brüssel wie in Berlin. Deutschland sei kein Magnet, hieß es unisono – basta!
Ungarn hatte hingegen mit dem „Sog“ argumentiert, um seinen Grenzzaun zu rechtfertigen. Auch aus Polen kommt immer wieder der Hinweis, Deutschland ziehe die Menschen an.
Was ja an sich nichts Schlechtes ist. Die europäische Vormacht zieht nicht nur Asylbewerber, sondern auch qualifizierte Fachkräfte aus Osteuropa oder aus Griechenland und Spanien an – und profitiert davon.
Für die betroffenen EU-Länder ist dies ein größeres Problem als die „Sogwirkung“ bei Flüchtlingen. Denn sie bluten aus, während Deutschland von der Zuwanderung profitiert. Doch davon spricht keiner.
Denn es ist Wahlkampf, und da geht es „natürlich“ wieder um Flüchtlinge. Plötzlich geht es nicht nur darum, die deutschen, angeblich zu hohen Standards zu senken – sondern die gesamte EU auf deutsche Standards zu verpflichten.
So verstehe ich jedenfalls De Maizières (und Tajanis) Vorstoss. Doch genau wie 2015 dürften auch diesmal nur die wenigsten EU-Staaten „hurra“ schreien. Schon gar nicht die Osteuropäer…
Kleopatra
12. September 2017 @ 11:38
Man darf nicht vergessen, dass im Herbst 2015 noch ein ganz anderer Mensch Präsident des Europäischen Parlaments war, nämlich Martin Schulz. Und dass dieser aus einem anderen Land kommt als Tajani. Die Antwort auf die Frage, ob Merkel einen Sogeffekt geschaffen hat, ist einerseits eine empirische Frage, aber andererseits stellt sie eine politische Stellungnahme dar; und manche Richtungen müssen eben das Merkelsche Unfehlbarkeitsdogma kultivieren und daher selbst Offensichtliches bestreiten.
Peter Nemschak
11. September 2017 @ 12:16
Die Sogwirkung war bei Flüchtlingen Realität: Schweden, Deutschland. Nur: Flüchtlinge sind zuerst einmal eine Belastung der heimischen Sozialsysteme während Fachkräfte aus Osteuropa einen Nutzen bringen. Von ausbluten kann doch wohl keine Rede sein. Wollen Sie die Menschen daheim fesseln, vor allem wenn sie keinen attraktiven Job daheim haben? Das wäre gegen die Personenfreizügkeit in der EU. Man darf die Dinge nicht vermischen. Wenn sich die Wirtschaftsleistung Osteuropas in Zukunft an jene in Westeuropa angepasst hat, wird sich das Problem nicht mehr stellen. War es nach der deutschen Wiedervereinigung zwischen Ost und West nicht ähnlich?
Ute Plass
11. September 2017 @ 12:16
@Nemschak: „Wenn sich die Wirtschaftsleistung Osteuropas in Zukunft an jene in Westeuropa angepasst hat, wird sich das Problem nicht mehr stellen. War es nach der deutschen Wiedervereinigung zwischen Ost und West nicht ähnlich?“
Bitte erklären Sie, wie mit einem Wirtschaftsmodell, für das Konkurrenz und Profitmaximierung zentral ist, Wohlstand für alle funktionieren soll?
Die „blühenden Landschaften“ in Ostdeutschland gibt es nur partiell. Städte und Gemeinden in deutschen Landen befinden sich in einem gegenseitigen Unterbietungsrennen und sog. abgehängte Regionen finden sich nicht nur im Trump-Land.